Sein oder Haben…..

„Fast alle Argumente sprechen dafür, dass wir, so weitermachend, in die Katastrophe schlittern. Ich sage aber auch, so lange in Fragen des Lebens eine kleine Chance besteht -sagen wir von ein oder zwei Prozent – so lange darf man nicht aufgeben.“

-Erich Fromm (Psychoanalytiker)-

Vier Jahre Leben in Abgeschiedenheit, abseits von alledem was die meisten Menschen in unseren Breitengraden unter Leben verstehen, haben mich verändert. Zutiefst. Konfrontiert mit mir selbst wurden sämtliche Schutzschichten hinweg gefegt, mein Innerstes nach Außen gekehrt.

Ich habe all meine Dummheit, meine Fehler, das Versagen meiner frühen Jahre gesehen. Und ich habe getrauert. Um meine Kindheit, die neben aller Fürsorge auch geprägt war von der schwierigen Lebensgeschichte meiner Eltern. Ich habe getrauert, um die Kindheit meiner Eltern, die verloren gegangen ist in der emotionalen Erstarrung der Nachkriegszeit.

Und ich habe getrauert, um die vielen Jahre, die ich an meine Erkrankung, den Kampf um die richtige Diagnose, die richtige Therapie verloren habe. Um all die Verluste, die damit verbunden waren. Ich habe getrauert, um meine Gesundheit, die Gesundheit meiner Tochter. Ich habe getrauert, weil ich verstanden habe, dass der Tod ein Teil des Lebens ist, auch meines Lebens.

Irgendwann habe ich getrauert, um all die Menschen die ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Und später, um all diejenigen die im Krieg alles verloren haben. Geliebte Menschen, Heimat, Zuflucht und Sicherheit. Und dann, um all diejenigen, die niemals die Chance auf ein gutes und erfülltes Leben gehabt haben und niemals haben werden, weil die Güter auf unserem Planeten ungerecht verteilt sind, weil es keinerlei Gerechtigkeit gibt.

Und ich habe getrauert, um das Leiden der Natur, ihrer Geschöpfe, das Leben selbst, das durch unser Fehlverhalten zutiefst verwundet und ausgebeutet wird.

Ja, all dies hat mich verändert, mich eine andere Sicht auf das Leben einnehmen lassen. Hat mir gezeigt, dass das „Sein“ wesentlich glücklicher macht als das „Haben“.

Nun, da ich zurück bin in der Stadt, in einer Welt in der es hauptsächlich um „Schneller, Größer, Weiter, noch mehr Haben“ geht, fällt es manchmal schwer die Ruhe zu bewahren, das eigentliche Glück nicht aus den Augen zu verlieren. Aber so lange eben auch nur ein Funke der Hoffnung besteht, so lange darf man nicht aufgeben.

Epilog:

Die heutigen Bilder stammen aus besseren Tagen. Tagen an denen das Naturschutzgebiet noch nicht von den Unwettern verwüstet, noch voller Leben war. Heute bin ich gedanklich bei all den Menschen, die unter den Folgen der Überschwemmungen zu leiden haben, bei den Vögeln, deren Nester der Flut zum Opfer gefallen sind, bei der Natur, die Widerstand leistet gegen den Raubbau den wir betreiben. Und ich bin in Gedanken bei all denjenigen, die noch immer nicht verstanden haben, dass „Haben“ nicht glücklicher machen kann als „Sein“ und ich hoffe ….hoffe darauf, dass immer mehr Menschen verstehen, dass wir unsere Haltung ändern müssen, wenn wir diesen Planeten, ja wenn wir uns selbst retten wollen.

6 Comments on “Sein oder Haben…..

  1. Ja, ich sehe es auch so, dass die Natur sich wehrt, mehr und mehr und mehr. Ähnliche Trauergefühle hatte ich in den letzten Monaten auf unseren vielen Fahrten bei der Ansicht der Wälder. Das ist vielleicht doch einen Beitrag wert. Tröstlich in allem ist für mich nur, dass sie sich immer wieder neu entwickelt und weiter existieren wird – mit oder ohne den Menschen.
    Ich sende dir liebe Grüße und alles Gute
    caro

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    • Ja, die Wälder sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Leider!!! Und ein Beitrag dazu wäre mit Sicherheit eine gute Sache. Die Trauer zu erleben halte ich für eine Notwendigkeit, auch wenn das sicherlich von vielen nicht gerne gehört wird. Aber nur wenn wir spüren , dass wir mit der Gewalt die wir der Natur antun uns selbst verletzen werden wir den tiefen Wunsch nach Veränderung entwickeln. Ja, für mich ist es ebenfalls Trost zu wissen, dass das Leben auch ohne uns weitergehen wird, sollte es soweit kommen. Ich schicke ganz liebe Grüße zurück zu dir und auch für Dich von Herzen alles Gute , Daniela

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  2. Trauer ist wichtig, sollte aber nicht lebensbestimmend werden oder sein.
    Wir können jede*r für sich etwas ändern, damit unsere Mutter Erde gesundet. Es gibt so viele Ansätze und Wege, die wir dabei beschreiten können. Andererseits, das Hauptproblem ist, dass wir Menschen unsere Habitatsgrenzen längst überschritten haben. Wir sind zu viele auf zu engem Raum. Da hilft uns auch kein technischer Fortschritt, da hilft nur die Reduktion der Masse, die Reduktion der Reproduktion. Und, so lange wir Menschen uns so wichtig nehmen und uns weiter rücksichtslos reproduzieren und dabei die Natur unbarmherzig zurückdrängen, so lange wird auch die Umwelt um uns herum unter uns leiden. Da helfen uns weder Gesetze noch Verbote. Die Masse ist entscheidend. Und wie alles in der Natur, wo eine Lebensform sich zu stark vermehrt, wird sie – auf welche Weise auch immer – reduziert werden. Mutter Erde macht das schon.

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    • Liebe Barbara,
      so hart Deine Worte manch einem auch erscheinen mögen, ich gebe Dir auf jeden Fall Recht. Das Problem scheint mir zu sein, dass wir uns nicht mehr als Teil der Natur verstehen, als einen winzig kleinen Teil einer grandiosen Schöpfung, der ebenso wie alle anderen Arten, dem Kreislauf des Lebens unterworfen ist. Wir setzen alles daran uns vor dem Tod, der Vergänglichkeit zu schützen und berauben mit unserem Drang zu überleben alle anderen Arten ihres Lebensraums. Es bedarf der Integration der eigenen Vergänglichkeit und zu dieser gehört die Trauer dazu. Lebensbestimmend darf sie jedoch tatsächlich nicht werden, vielmehr muss sie die schöpferische Kraft in uns wecken, die uns dabei hilft seelisch zu wachsen und über unser eigenes Ego hinaus zu denken. Ansonsten wird es Mutter Erde tatsächlich für uns regeln . Das Leben entscheidet sich immer für das Leben. Jedoch nicht für das Leben eines Einzelnen, vielmehr für die Gesamtheit des Lebens.

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      • Liebe Daniela, wie weise ist Deine Antwort. Wieder einmal. Ich sehe schon lange, Du bist ein Mensch, der die Natur um Dich herum nicht als Fremdkörper erfährt, sondern als Miteinander, als Lebenselexier, dass Dich erhält und atmen lässt. Ich bewundere Deinen Mut, Deine Stärke so sehr. Nicht jede*r hat diese Kraft. Nicht jede*r findet den Zugang zur Umwelt wie Du ihn erlebst. Und Du hast vollkommen Recht! Das Leben (was immer per Definition das ist) entscheidet sich für den Fortbestand des Lebens und nicht für das einzelne Individuum und schon gar nicht für einen einzelnen Menschen. Die Welt, wie wir sie kennen, wird nicht fortbestehen. Die Menschen werden sie vernichten. Aber all die wunderbaren Geschöpfe um uns herum werden irgendwann aufatmen und die Erde wieder neu bevölkern. Denk‘ an die herrlichen Vögel, die Du immer wieder fotografierst. Sie werden sich auf ihren Schwingen erheben und über den Globus gleiten, wenn wir längst vergessen sind. Lass Dich von ihnen ein wenig tragen und Dir Mut machen, damit Du die Kraft findest, zu atmen und Dein Leben zu genießen.
        Du bist einzigartig Daniela – vergiss das nie 🙂

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      • Ja, das ist vermutlich richtig. Die Welt wie wir sie kennen und derzeit erleben wird so vermutlich nicht fortbestehen, aber Veränderungen sind Teil des Lebens. Im Großen wie im Kleinen. Und wir alle sind eben nur ein kleiner Teil davon. Unbedeutend und jeder auf seine ganz besondere Art, dann doch auch wieder bedeutend. Ja, lass uns den Duft des Lebens atmen und genießen. Es ist wunderschön, wenngleich oftmals auch schwierig und schmerzhaft …

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