Achtsamkeit……….

Heute ist der erste Tag nach der vierten Infusion Endoxan. Ich bin noch sehr müde, mein Körper fühlt sich bleiern an und leichte Übelkeit begleitet mich, wenngleich ich von der onkologischen Praxis bereits prophylaktisch Medikamente, die den Nebenwirkungen entgegen halten sollen, erhalten habe. Und trotzdem, im Vergleich zu den ersten Infusionen scheint es mir besser zu gehen. Die Grunderkrankung scheint allmählich in den Hintergrund gedrängt zu werden, die Beschwerden halten sich momentan, sicherlich auch Dank des Cortisonstoßes, den ich gestern erhalten habe, in Grenzen.

Also entschließe ich mich mit meinen Hunden einen Spaziergang zu unternehmen, weiß ich doch, dass gerade mein „Großer“ sehr darunter leidet, wenn „Frauchen“ nicht ausreichend Kraft und Energie zur Verfügung hat,  um das Leben gemeinsam mit ihm zu genießen.

Dann mal los, die müden Knochen zusammengepackt, Hunde rein in`s Auto und los geht`s. Wir suchen uns eine etwas abgelegene Gegend an einem Waldrand, von Wiesen umgeben, in der Hoffnung dort eine Ruhe und Abgeschiedenheit zu finden, in der es uns gelingt das Leben zu genießen und die Alltagsorgen hinter uns zu lassen.

Und siehe da, schon nach ein paar Metern taucht Lebensfreude auf. Mein „Großer“ darf frei neben mir herlaufen, da wir in der Zwischenzeit doch ein recht eingespieltes „Rudel“ sind.  Mein Kleiner läuft an der langen Schleppleine mit, so dass auch er (trotz noch nicht ganz so vollständig ausgeprägter Impulskontrolle) seine Freiheit genießen kann.

Wie wunderbar, schon nach kürzester Zeit stellt sich bei uns allen ein lang vermisstes Lebensgefühl ein. Kiwi, so der Name meines „Großen“ , läuft mit etwas Distanz neben mir her, die Rute gestellt, die Ohren gespitzt, immer wieder jedoch den Blickkontakt zu mir suchend. Sein ganzer Körper drückt Aufmerksamkeit mit geballter Lebensfreude aus. Mein „Kleiner“ (alias Socke) tut es ihm gleich. Nahezu augenblicklich geht die Lebensfreude meiner „fellnasigen“ Freunde auf mich über, ich genieße die Natur die mich umgibt, sowie die Verbundenheit und die Harmonie unseres kleinen „Rudels“ , die sich nach jahrelangem, gemeinsamen  Training in der Zwischenzeit eingestellt hat.

Soooo schön!!!! Gedanken tauchen auf, dahingehend wie hart wir zu Beginn unseres gemeinsamen Weges um diese Harmonie gerungen haben. Wie hart und steinig der Weg war, in einem „Rudel“ mit zwei ehemaligen Straßenhunden zu einem harmonischen Miteinander zu gelangen. Wie oft mich die beiden fast um mein letztes bisschen Kraft und Energie gebracht haben und nun dies. Ich kann mein Glück kaum fassen.!!!!

Doch dann, ein Augenblick des Schreckens unterbricht jäh mein Glücksgefühl. Im Maisfeld neben uns , das wir in der Zwischenzeit erreicht haben, taucht in nicht allzu großer Entfernung plötzlich ein Reh auf. Socke, entsprechend seiner Natur, ist sofort in heller Aufruhr und steckt, wie zu erwarten war, meinen ansonsten so zurückhaltenden Kiwi an. Das gerade noch erlebte Glück wandelt sich augenblicklich in Chaos.  Von Harmonie keine Spur mehr, vielmehr macht sich in meinem „Rudel“ eine Eigendynamik breit, von der ich (in nicht allzu guter gesundheitlicher Verfassung) den Eindruck habe, sie kaum mehr angemessen kontrollieren zu können.

Socke tut seine Aufregung kund, in dem er sich  (und mich!!!) lauthals bellend  in die, in diesem Moment doch viel zu lange, Leine (die ihn den Himmel sei Dank noch sichert) verwickelt und mich damit fast zu Fall bringt.  Kiwi drückt  seine Begeisterung  in wilden Bocksprüngen aus , die zwar wenig zielgerichtet sind, aber dennoch das „Durchstarten“ ankündigen.

Und da ist es auch schon geschehen, Kiwi startet mit wehenden Ohren durch. Von Glücksgefühl bei mir keine Spur mehr. Panik macht sich breit. Wird er sich, nachdem der Jagdtrieb sich nun bereits Bahn gebrochen hat, noch abrufen lassen?  Oh nein, alles fällt mir ein, bloß nicht das Richtige.   Ich schreie wie verrückt „Back“, „Nein“, Kiwi“ und neben mir schreit Socke. Insgesamt noch lauter als ich und sich und mich zudem, vor lauter Aufregung, immer weiter in die Leine verwickelnd.

Doch dem Himmel sein Dank, es gelingt. Kiwi, der eigentlich mehr Angst vor Rehen hat , als diese vor ihm, bricht seine „Jagd“ nach ein paar Metern ab und stellt sich „freudestrahlend“ wieder bei mir ein. „Na, Frauchen!!! Hab ich das nicht  toll gemacht und wo ist denn nun bitte meine Belohnung dafür, dass ich wieder zurück bin?“

Bei mir allerdings ist keine Spur mehr von „Freudestrahlen“ zu erkennen. Stinksauer, gestresst und frustriert „entwirre“ ich Socke (und mich!!!) , „verhafte“ Kiwi und verabreiche beiden dann abschließend und zähneknirschend, ein „Leckerchen“ dafür, dass sie wieder mit ihrer Aufmerksamkeit bei mir angekommen sind.

Mist!!!!! In den nächsten Minuten begleiten mich Gedanken wie: „alles für die Katz“ „von wegen eingespieltes Rudel“ „nix als Stress und Ärger“ . Und und und…. bla,bla,bla……lärmt es wie verrückt in meinem Kopf.

Doch wir gehen weiter (was bleibt auch anderes!!!) und ganz allmählich, ohne weiteres Zutun, verfliegt der Ärger. Plötzlich nehme ich wahr, dass ich gedanklich ganz wo anders angekommen bin. Ich erinnere mich an einen Post von einer lieben Freundin, der mich heute früh erreicht hat und in dem ich mich so trefflich wiedergefunden habe. Und erneut taucht Freude in mir auf. Dieses Mal ist es eine andere Freude. Es ist die Freude darüber, dass da Menschen sind, die mich sehen wie ich bin. Die meine Stärken sehen, aber auch meine Schwächen.  Die mich mit alledem akzeptieren, die mich nehmen so wie ich, Daniela,  nun eben einmal bin.

Und plötzlich wird mir wieder klar. Ich bin mitten drin!!!! Das ist das Leben, ein dynamisches „Auf“ und „Ab“ der Gefühle. Ein ständiger Wechsel zwischen Freude und Glück, Angst, Wut und nicht selten auch von Schmerz und Trauer. Und das Schöne daran !!!! Eigentlich muss ich nichts weiter tun, als wahrzunehmen und geschehen zu lassen. Muss nichts weiter unternehmen, als mich dem Fluss des Lebens hinzugeben, um spüren zu können, dass alles ständig im Wechsel ist, dass nach jedem Tiefpunkt auch wieder ein Höhepunkt kommt, dass selbst in schwierigen  und schmerzlichen Situationen oftmals noch Freude und Schönheit entdeckt werden können.

Und doch kann das manchmal so schwierig sein. Gerade in Zeiten, in denen Schmerzen und Leid scheinbar kein Ende nehmen wollen. In Zeiten, in denen sich einfach kein Licht am Ende des Tunnels abzeichnen will. In denen Leid  und Trauer sowie Wut und Verzweiflung, darüber was die Erkrankung alles „mit mir macht“ ,  überhand nehmen  und nicht mehr erträglich zu sein scheinen.  Ja, da kann es schon auch mal sein, dass sich Hoffnungslosigkeit in mir breit macht. Eine Hoffnungslosigkeit die sich bleiern anfühlt, wie eine Art „Gefühlsstarre“ die sich schwer und erdrückend über meine Seele legt, die alles Lebendige zu ersticken droht. Und ja, eine solche Zeit habe ich gerade hinter mir.

Wie gut ist es da, wenn man Freunde hat.  Menschen, welche die Gefühle, die sich unter der „bleiernen Decke“ befinden, nicht fürchten. Menschen die in der Lage sind, diese Gefühle in mir wahrzunehmen. Die mutig genug sind, sie anzusprechen und auszuhalten und die mir damit dabei helfen, sie zurück an die Oberfläche zu bringen. Zurück in mein Bewusstsein, wo sie gelebt, verstanden und zu guter Letzt auch wieder losgelassen werden können. Menschen die mir dabei helfen in den Fluss des Lebens zurück zu kehren und die mich daran erinnern, dass alles was in mir ist auch seine Berechtigung und seinen Platz hat. Menschen die mich daran erinnern, dass mich und uns alle nach jedem Tief auch wieder ein Hoch erwartet, wenn wir nur bereit sind, allem was unsere Seele gerade bewegt in vollem Umfang Beachtung und Wertschätzung zu schenken.

Ich  wünsche uns allen Zeiten  voller Achtsamkeit auf das was unsere Seele bewegt.Tage voller Lebendigkeit, voller Augenblicke der Bewusstheit. Einer Bewusstheit, die uns die großen und die kleinen Wunder des Lebens spüren, erkennen und genießen lässt. Und ich wünsche uns Begegnungen . Möglichst viele Begegnungen mit Menschen, die vermögen diese Lebendigkeit in uns zu Tage zu fördern.

In diesem Sinne, fühlt Euch herzlichst gegrüßt

Eure Daniela

 

 

Epilog:

Im Februar diesen Jahres wurde im Rahmen eines schweren Schubes meiner  Autoimmunerkrankung eine massive , wohl bereits seit Jahren verschleppte, Lungenbeteiligung festgestellt. Aufgrund derer befinde ich mich momentan in einer Endoxan-Stoßtherapie, einer chemotherapeutischen Behandlung, die bei bedrohlichen Verläufen von Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis eingesetzt wird.

 

 

 

6 Comments on “Achtsamkeit……….

  1. Deine Erzählung spiegelt das Leben wie es ist. Du stehst mitten im Leben, weil Du dein Schicksal angenommen hast aber dem noch vieles dagegen unternimmst. Die kleinen Augenblicke die Freude bringen kannst Du spüren und genießen, auch die kleine Momenten der Angst wie heute geschehen lassen dich nicht kalt und sind der Anlass zur Selbstreflektion. Auch wenn die Krankheit ihre Tribut fordert und manches verbietet, hast Du eine intensive inneren Leben die vieles entschädigt.

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    • Ich danke Dir Jean, für Deine lieben Worte. Ich glaube ein reiches Innenleben ist das was uns beide zutiefst verbindet und was es uns erlaubt, das Leben mit schwerer Erkrankung schlussendlich zu meistern. Ich freue mich jeden Tag neu Dich als Freund gewonnen zu haben. Liebe Grüße, Daniela

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  2. Liebe Daniela,
    solche oder ähnliche Situationen habe ich mit meinen Hunden auch schon erlebt. Das ist DAS LEBEN! Und wenn man mittendrin ist und vielleicht durch die Erkrankung nicht so „belastbar“ wie ein gesunder Mensch, trifft „das Leben“ einen oft besonders. Ich hatte oft das Gefühl der Überforderung in solchen Situationen, konnte ich doch früher als gesunder Mensch total locker damit umgehen.
    Es sind aber eben auch die kleinen Momente, Erfolge, Wahrnehmungen etc. die das Leben bereichern, den Tag leichter machen. Für mich ist die Achtsamkeit, das Wahrnehmen des Augenblicks ein Zeichen von bewusstem Leben in seiner ganzen Bandbreite. Mit positiven und weniger guten Momenten- und alles gehört dazu.
    Dass es immer wieder bergauf geht, es immer wieder ein Licht am Ende des Tunnels gibt, ist eine Erkenntnis, die ich lernen durfte und auch immer noch lerne……
    Sich dem Lauf des Lebens hingeben können, es annehmen können, mit allem, was da kommt, auch vielleicht eine Last/Sorge abgeben können an eine höhere Macht etc. hilft in meinen Augen sehr, das Leben leben und bewältigen zu können.
    Ich brauche nicht mehr immer die Kontrolle und die Verantwortung für etwas übernehmen, ich kann auch mal loslassen und mich einfach treiben lassen. Das war und ist ein Lernprozess, in dem ich immer noch stecke und es wird immer besser 😉
    Und , wie du schreibst, die Menschen in unserem Umfeld können so viel dazu beitragen, dass wir uns trotz unserer Krankheit, gesehen und angenommen fühlen können.
    Die es eben aushalten können, wenn wir schlechte Tage haben, niedergeschlagen und traurig oder verzweifelt sind.
    Es gehört eben ALLES zum Leben, all die wunderschönen Ereignisse und die traurigeren Zeiten. Da merkt man meist schnell, wer wirklich ein Freund/Freundin ist und wer eher nicht…
    Ganz liebe Grüße und eine herzliche Umarmung,
    Milka

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  3. Liebe Daniela,
    da ich – warum auch immer – lange keine Nachricht über einen neuen Blogeintrag mehr bekommen habe, wollte ich einmal nachsehen, ob es den Blog noch gibt. Und jetzt bin ich sehr glücklich von dir zu lesen. Ich lese lieber auf Blogs als in facebook, deshalb rauscht so vieles an mir vorbei. Allerdings habe ich auch bei meinen seltenen Besuchen dort sehen können, was dir da gelungen ist, und ich möchte dir meine Bewunderung ausdrücken. Ja, ich weiß, du möchtest sofort wieder auf die anderen hinweisen, die da viel mehr machen und ohne die es sicher nicht auf diese Weise möglich gewesen wäre. Aber mir geht es hier um dich und deinen festen Willen, trotz aller Widrigkeiten dieses Projekt ins Leben zu rufen. Es war deine Initialzündung – der Anfang aller Projekte.
    In deinem Beitrag habe ich mich auch wieder an so viele Ein- und Aufbrüche in meinem Leben erinnert, von denen viele mit der Krankheit verbunden sind. Auch mir haben Erlebnisse mit meinen Hunden immer wieder mal vor Augen geführt, dass ich eigentlich total am Ende bin. „Nicht auch das noch!“ kenne ich nur zu gut.
    Und dennoch sind aus jener Zeit auch so viele schöne Erinnerungen geblieben. So viel Liebe, auch Lachen, so viel kleine glückliche Momente zwischen all dem Chaos, dem Schmerz und der Angst.
    Es ist, wie du schreibst: Das alles ist Leben. Manchmal bekommt man das Eine nicht ohne das Andere. Manchmal könnte das Andere etwas kleiner sein.

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  4. Liebe Milka, Liebe Caro,

    ich danke Euch von Herzen für die schönen Kommentare. Ich kann es kaum in Worte fassen , wie viel es mir bedeutet zu wissen , dass es „dort draußen“ Menschen gibt , die mit mir „unterwegs “ sind. Menschen die verstehen, dass das Leben nicht immer nur „easy“ ist, dass man oftmals nicht umhin kommt durch Tränen und Schmerz hindurch zu gehen, dass es nicht selten sogar die dunklen Seiten des Lebens sind , die uns die schönen und glücklichen Moment erkennen und zutiefst wertschätzen lassen. Das Wissen darum , mit meinen Tiefpunkten nicht alleine zu sein, nimmt mir so vieles von der Isolation, die ich im Zusammenhang mit der Erkrankung, in einer Gesellschaft in der immer alles perfekt und schön sein muss, in der möglichst immer gelächelt werden muss, erleben musste. Ich empfinde es als Wohltat in Euch Menschen begegnen zu dürfen, die ebenso wie ich Höhen und Tiefen erleben und die sich auch nicht scheuen, dies zum Ausdruck zu bringen. Ich glaube nach wie vor fest daran, dass das (öffentliche) Bekenntnis der eigenen Verwundbarkeit , einen großen Beitrag dazu leisten kann, die schmerzlichen Seiten des Lebens wieder „gesellschaftsfähig“ zu machen . Einen Beitrag dazu, die Einsamkeit die Menschen in Krisensituationen so oft erleben, zu verringern. Ich wünsche uns allen ganz viele schöne und glückliche Momente. Momente die uns die Kraft verleihen die dunklen Täler zu durchschreiten, ohne dabei das Licht auf der anderen Seite aus den Augen zu verlieren.
    In diesem Sinne, fühlt Euch herzlichst umarmt
    Eure Daniela

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