Die Einheit in der Vielfalt

„Es gibt in einem anderen Menschen nichts, was es nicht auch in mir gibt. Dies ist die einzige Grundlage für das Verstehen der Menschen untereinander“

-Erich Fromm-

In der letzten Zeit muss ich merkwürdigerweise oft an mein Berufsleben zurück denken. Und dies obwohl dieses nun ja bereits schon etliche Jahre zurück liegt. Vermutlich liegt das daran, dass ich nun wohl abschließend akzeptiert habe, dass ein soziales „Comeback“ für mich nicht mehr auf dem Programm stehen wird.

Als ehemalige Sozialarbeiterin hab ich in den verschiedensten Bereichen gearbeitet, meine längste und intensivste Zeit jedoch hab ich als Bewährungshelferin in den sozialen Diensten der Justiz verbracht.

Eine kluge Kollegin von mir sagte einmal, es sei wohl der reinste Zufall, dass wir uns hier, auf unserer Seite des Schreibtisches befinden…

Wie oft ich die letzten Tage daran denken musste und wie Recht sie doch hatte…

… das Zeug zum Straftäter hätte ich vermutlich auch gehabt, zumindest in früher Jugend und in gewissen Ansätzen…

Weiß Gott, ich hab viel gelernt von den Menschen denen ich dort begegnet bin… über die Geschichten, die das Leben so schreibt, über das „Mensch Sein“ an sich und darüber, dass vieles was geschieht außerhalb unserer Möglichkeit liegt, es jemals verändern zu können.

Am meisten aber hab ich über mich selbst gelernt, denn in jedem meiner Klienten, hab ich auch ein kleines Stückchen von mir selbst wieder gefunden…

Wie nur weiter leben ohne all diese Geschichten, ohne die Menschen die mir tagtäglich Inspiration waren, die mir ohne es zu ahnen dazu verholfen haben weite Teile von mir selbst zu entdecken?

Dass das Leben trotz alledem seinen Gang geht, uns unaufhaltsam auf dem Weg bis zum tiefsten, innersten Punkt unsere Seele voran treibt…dies konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen.

Rückblickend jedoch weiß ich zu sagen, dass es dennoch so war…nach dem Berufsleben folgte der Kampf um mein Leben und wieder bin ich vielen Menschen begegnet. Ärzten, kranken Menschen, Menschen die mit mir um Verbesserungen im Gesundheitssystem gekämpft haben. Und alle haben Ihre Geschichten mitgebracht. Ausgesprochen und zum Teil auch unausgesprochenen, aber immer deutlich spürbar. Und mit jeder Begegnung wurde ich mit mir selbst konfrontiert, durfte einen Blick in den Spiegel werfen…viele kleine Einzelteile, Fragmente meiner Selbst hab ich da gesehen. Viele kleine Mosaiksteine, die über die Jahre hinweg ein immer vollständigeres Bild meiner Selbst haben entstehen lassen.

Was es noch alles zu entdecken gibt, in anderen und damit auch in mir selbst, das weiß ich nicht…eines jedoch weiß ich in der Zwischenzeit sicher: In jedem anderen Menschen gibt es immer auch einen Teil meiner Selbst zu erkennen.

Und so ist über die Jahre hinweg die Frage: „ Und was hat das alles mit mir zu tun ?“ fast gar schon zum Reflex geworden. Insbesondere an den Stellen, an denen ich mich am meisten ärgere werde ich am hellhörigsten, wenngleich es gerade da auch am schmerzlichsten wird …Und trotzdem, auch wenn es zeitweilig weh tut, gerade in Zeiten, wie diesen, in denen die Not uns nicht selten veranlasst das Unheil ausschließlich im jeweilig anderen zu sehen, erscheint mir diese Frage zu einer der zentralsten Fragen überhaupt geworden zu sein.

Heute, in meinen dunkelsten Nächten, immer dann wenn die Angst am aller größten wird, frage ich mich manchmal ob all das, was mir da durch die Medien zugetragen wird, tatsächlich noch der Realität entsprechen kann. Manchmal fühlt es sich tatsächlich an wie in einem schlechten Film.

Was wäre wenn ich nicht ständig suggeriert bekommen würde, so meine Gedankengänge in solch düsteren Nächten, dass eine Infektion mit dem Virus, angesichts meines gesundheitlichen Zustandes mein sicheres Todesurteil wäre? Würde es mir dann nicht besser gehen? Müsste ich dann nicht weniger Angst haben, könnte loslassen, sorgloser leben? In solchen Momenten spüre ich die Neigung in mir, die Zustände zu bagatellisieren, sie weniger bedrohlich zu machen als sie sind. Um wieviel einfacher es doch ist, die Bedrohung in Medien, Politikern, Mitmenschen zu suchen. So viel einfacher als den Tatsachen ins Auge zu sehen, dass wir als Gesellschaft von einem Virus bedroht sind , der sich immer wieder unserer Kontrolle entzieht.

Nur gut, dass ich immer noch rechtzeitig die Gefahr spüre, die von diesen Gedankengängen ausgeht. Dass ich rechtzeitig wahrnehme, dass dies ein Schutzmechanismus meiner Seele ist, dessen Ziel es ist, meine Angst in Schach zu halten, sie kleiner werden zu lassen, sie erträglicher zu machen. Der Preis, den ich für diesen „Seelenfrieden“ zu bezahlen habe, könnte unter Umständen jedoch sehr hoch werden, denn die fehlende Angst lässt mich unvorsichtig werden, bringt somit mein Leben und das der anderen in Gefahr.

Somit finde ich einmal mehr Anteile in mir Selbst wieder, die ich an der Oberfläche betrachtet zunächst nur bei anderen wahrnehme

Epilog:

An dieser Stelle stellt sich eine gewisse Milde ein, all denjenigen gegenüber die sich so vehement gegen eine Impfung und damit gegen den Schutz der Allgemeinheit stellen. Ja, ich verstehe….zutiefst!!! …..Und dennoch, Milde und Verständnis dürfen nicht verwechselt werden mit einer Haltung „des gewähren Lassens“ … „Wir sind nicht Herr im eigenen Haus“ wie Siegmund Freud es einmal sinngemäß formulierte. Und eben, weil dies so ist, weil wir als Menschen fehlbar sind, weil wir dunkle Flecken haben, die sich dem Licht des Bewusstseins entziehen, müssen immer wieder auch Grenzen gesetzt werden, klare und eindeutige Grenzen. Grenzen die aufrütteln, die wach machen.

Nicht um zu spalten, ganz im Gegenteil, vielmehr um zur „Einheit in der Vielfalt“ zu gelangen……damit wir alle gemeinsam und sicher ans Ziel gelangen. Denn nicht das Virus ist es das unsere Gesellschaft spaltet. Dieses deckt lediglich auf, was ohnehin vorhanden. Die Spaltung in uns selbst……

15 Comments on “Die Einheit in der Vielfalt

  1. Es gibt in einem anderen Menschen eine Welt,
    die mir so tief und fremd ist,
    fremd bleiben wird;
    wie meine Innenwelt mir selbst.

    Ich bin im Drama der Seele nicht der Autor,
    ich bin mein Leben lang nur ein Statist.

    Das Sprachrohr der Seele im Traum,
    ob ich nun ein Krimineller oder ein Gutmensch bin,
    gibt mir die tägliche paradoxe Antwort,
    was und wer ich der Innenwelt und der Aussenwelt;
    was für ein Wesen,
    ich mir und den anderen wirklich bin.

    Ich will einen anderem Menschen seine unteilbare Menschenwürde anerkennen,
    verstehen kann ich mich und den anderen bis ins Letze nicht.

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  2. Liebe Daniela,
    ich bewundere deine Milde angesichts deiner eigenen Betroffenheit. Und mir gibt das Zitat von Fromm zu denken:
    Klar, in jedem anderen Menschen kann ich Teile von mir selbst erkennen und aus diesen Spiegelungen etwas lernen, so wie du das auch beschreibst.
    Aber dass es in jedem anderen Menschen NICHTS geben soll, das nicht auch Teil von mir ist, das fällt mir schon schwer zu glauben. Das würde ja bedeuten, ich hätte sogar die dunkelsten Seiten des schlimmsten Verbrechers in mir als Teil meiner selbst. Von der Arroganz eines Donald Trump bis hin zur brutalen Skrupellosigkeit eines Josef Mengele wäre alles Menschen-mögliche auch in mir angelegt. Der Unterschied wäre lediglich, dass ich diese Anlagen nicht auslebe? Das fände ich schon krass…
    Naja, vielleicht sieht ja auch Fromm Unterschiede, wie stark die einzelnen Dinge in den Menschen angelegt sind und meint lediglich, dass im Grundsatz alle Möglichkeiten in jedem Menschen vorhanden sind.
    Und wenn man die Sache am Positiven Ende der Skala betrachtet, hat die Sichtweise ja auch was Gutes: Auch von Einsteins, Mozarts und Albert Schweitzers Potenzial würde dann etwas in mir schlummern…

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    • Ja, lieber Stefan…es ist natürlich immer eine Frage des Ausmaßes wieviel vom Anderen wir in uns selbst wieder finden. Aber Hand auf‘s Herz…wer von uns hat sich nicht schon mal arrogant verhalten? Wer von uns ist nicht auch schon mal skrupellos über die Bedürfnisse eines Anderen hinweg gegangen u.s.w…..das Problem ist, dass wir es oftmals gar nicht merken, wenn wir uns so verhalten. Je mehr wir uns aber mit unseren „ Schattenanteilen“ auseinander setzen, je mehr wir sie kennen lernen und annehmen können, desto besser können wir sie auch im anderen akzeptieren…es gibt einfach keinen Menschen der nur „gut“ oder nur „böse“ ist…wir sind immer beides. Und je mehr man mit sich selbst im Frieden ist, desto mehr kann man es auch mit anderen sein. Allerdings ist dies auch eine Lebensaufgabe, die sicherlich niemals vollständig erfüllt werden kann…wir bleiben einfach Menschen , mit all unseren Vorzügen und mit all unseren Schwächen .
      In diesem Sinne
      herzliche Grüße von
      Daniela,
      die längst nicht immer so milde ist, wie sie es gerne wäre😂😬😉

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      • Liebe Daniela,
        schon dein ursprünglicher Post und noch mehr dein Kommentar haben mich an das Buch „Der Schatten in uns“ von Verena Kast erinnert. Ich hab es gerade aus dem Regal gezogen und nochmal zu lesen begonnen. Kennst du es?
        Aber jetzt muss ich erst mal Staub saugen, solange es noch hell ist…

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      • 😂…ja, die Tage sind sehr kurz gerade, die Zeit rast geradezu an einem vorbei🙄..Dieses spezielle Buch von Verena Kast hab ich noch nicht gelesen, aber ich mag sie als Autorin sehr gerne. Sehr zu empfehlen ist auch ihr Buch über den Trauerprozess. Für uns , als chronisch Kranke auch von großer Bedeutung, zumal das Fortschreiten einer Erkrankung ja auch immer mit Verlusten verbunden ist, die es zu betrauern gilt..Leider!!! Wünsche Dir viel Erfolg beim Staubsaugen und später viel Spaß beim Lesen
        Liebe Grüße
        Daniela😊🙋‍♀️

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      • PS. Die gedankliche Verknüpfung zwischen Fromms Zitat und Verena Kasts Buch über den „Schatten in uns „ ist natürlich exakt richtig…auch in Fromms Zitat geht es ja um die Integration des Schattens…😃👍…Seeehr spannend 😃👍

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      • Ja, spannend, aber auch ein schwieriges Thema… Naturgemäß beschäftigt man sich ja nicht gerne damit. Bin gespannt, was mir das Buch diesmal, einige Jahre später zu sagen hat. 🤔

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      • Ja, das stimmt. Es gibt vermutlich kaum etwas schwierigeres als sich selbst zu begegnen. Aber unterm Strich auch nichts was letztlich erfüllender wäre. Dass ich mich diesbezüglich auf den Weg gemacht hab verdanke ich dem Umstand , dass ich krank geworden bin. Es war ein harter Weg, den meine Erkrankung mir da beschert hat, aber schlussendlich bereue ich nicht einen Schritt den ich auf ihm gegangen bin…

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  3. Pingback: Die Einheit in der Vielfalt — Naturgeflüster – romanticker-carolinecaspar-autorenblog.com

  4. Liebe Daniela,

    Danke für die Inspiration , mich mal wieder mit dem Thema der abgelehnten Schatten des eigenen Selbst zu befassen.
    Nur in einem möchte ich widersprechen: Die Impfung dient -wenn überhaupt – dem Eigenschutz und nicht der Allgemeinheit. Sie erzeugt keine sterile Immunität und die Ausbrüche wurden durch ungetestete Geimpfte begünstigt, die schnell wieder reisen, Großveranstaltungen und Stadien besuchen wollten.

    Bleib gesund und ich wünsche dir von Herzen, dass du die 3-monatigen Booster langfristig vertragen wirst.

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    • Ich denke, meine Sichtweise ist an dieser Stelle klar zum Ausdruck gekommen. Wer sich mit dem Thema ernsthaft befasst, der weiß dass Eigenschutz an dieser Stelle auch Schutz für die Allgemeinheit bedeutet. Die Argumente hierfür sind bekannt, so dass ich auch keine Notwendigkeit sehe sie hier auf dem Blog weiter zu diskutieren. Möge es jeder mit sich selbst aushandeln wie er sich zu diesem Thema verhält.
      Alles Gute
      Daniela

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    • Eine Impfung dient auch der Schutz von gefährdete Menschen. Als soziale Wesen sollten wir auch, auf die Schwachen, Rücksicht nehmen. Die Impfung dient der eigene Schutz und auch der von Menschen, die keine Immunität erlangen können. Ja es gibt keine sterile Immunität, die Statistiken besagen aber, dass in der jeweiligen Gruppen (ungeimpft/geimpft) der prozentuale Anteil an Erkrankten höher bei den ungeimpften ist. Geimpft zu sein bedeutet nicht, dass man nicht erkranken wird, in den meisten Fälle sind aber die Symptome leichter und die Infektiosität ein wenig geringer. Jeden sollte auf die anderen achten und sich und die anderen damit schützen.

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