Interdependenzen

„Wir Menschen sind soziale Wesen, in unserem Dasein aufeinander angewiesen. Hilfe zu leisten kann sehr schwierig sein, Hilfe anzunehmen ebenso. Wenn wir beides gelernt haben sind wir inmitten unserer Abhängigkeit frei“

-Gedanke des Tages-

Eigentlich wollte ich ja nicht mehr über meine Erkrankung schreiben, einfach weil ich kaum mehr das Bedürfnis dazu habe und weil ich meine Zeit lieber damit verbringe zu leben, als den Dingen, die ich ohnehin nicht ändern kann, noch mehr Raum zu geben als sie von Natur aus schon einnehmen.

Aber nun schreibe ich eben doch, aus gegebenem Anlass. Eben weil ich mit meiner Erkrankung lebe und weil es deshalb eben doch auch immer wieder Erlebnisse gibt, die mich bewegen, mich berühren und von denen ich glaube, dass sie es wert sind, sie mit anderen zu teilen.

Vor ein paar Tagen habe ich von meinem Augenarzt eine Überweisung an die Uniklinik erhalten. Für sich genommen ist dies noch keine Besonderheit, denn für „besondere“ Erkrankungen bedarf es eben hin und wieder auch eines besonderen Fachwissens und den entsprechenden Untersuchungen.

Nun gut, nach reiflicher Überlegung habe ich mich also dazu entschlossen diesen Termin an der selben Uniklinik wahrzunehmen, an der mein Neurologe angebunden ist. Weil dies der Möglichkeit einer interdisziplinären Vernetzung am nächsten kommt und zudem dem Umstand trotzt, dass ich an eben dieser Augenklinik bereits sehr ungute Erfahrungen gemacht habe.

Was damals genau passiert ist, das spielt an dieser Stelle kaum mehr eine Rolle. Gesagt sei lediglich, dass die Erfahrung, die ich damals mit dem behandelnden Arzt gemacht habe, alles andere als schön war und mich, gelinde gesagt, in schwere seelische Turbulenzen geworfen hat, von denen ich mich lange nicht erholt habe.

Aus gutem Grund habe ich mir deshalb, bevor ich den Termin nun vereinbart habe, die Zeit genommen nochmals dorthin zu spüren. Zu überprüfen, ob ich mich einer Begegnung mit diesem Arzt nochmals aussetzen möchte, ob ich mich dieser Situation gewachsen fühle.

Ich habe mir vorgestellt wie ein erneutes Zusammentreffen aussehen könnte, wie es sich anfühlen würde diesem Menschen nochmals zu begegnen. Da war nichts mehr von der Verzweiflung und der ohnmächtigen Wut von damals zu spüren, kein Bedürfnis nach „Rache“ und vor allen Dingen war da eines nicht mehr: Diese Angst, die mich für eine so lange Zeit begleitet hat als Patientin nicht ernst genommen zu werden.

Nur noch ruhige Gewissheit war da in meinem Inneren zu spüren. Die sichere Gewissheit, dass es eine solche Situation nicht mehr geben wird. Dass dieser Termin sachlich und ohne gefühlsmäßige Eskalationen von statten gehen wird. Stressfrei, nicht in der Erwartung eines anderen Verhaltens von Seiten des Arztes, vielmehr weil ich mir der Stabilität meiner eigenen inneren Grenzen bewusst bin, weil ich mich ausreichend bei mir selbst fühle, um in jedem Fall die notwendige Augenhöhe, den notwendigen Respekt für mich als Menschen herzustellen.

Auf diesem Hintergrund und entsprechend gewappnet, habe ich mich also dran gemacht einen Termin zu vereinbaren und in diesem Zusammenhang erfahren, dass dieser Arzt, der so tiefe Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen hat, im vergangenen Jahr verstorben ist. Viel zu früh, an einer schweren Erkrankung.

Noch immer macht es mich betroffen, wenn ich daran denke. Wie mag es diesem Menschen wohl ergangen sein? War sein damaliges Verhalten seiner Überlastung geschuldet? War es seine eigene Erkrankung, seine eigenen Verzweiflung, die es ihm in diesem Moment unmöglich gemacht haben, sich in sein Gegenüber einzufühlen, sich auf mich als Menschen einzulassen? Ich weiß es nicht und werde es wohl auch niemals mehr erfahren. Leider!!!

Epilog:

Ich habe den Menschen, hinter dem Arzt der mich damals untersucht hat, nicht gekannt. Ich weiß nichts über ihn, seine Lebensgeschichte, darüber was ihn bewegt hat. Woran ich jedoch wieder einmal erinnert wurde ist, dass hinter all den Rollen, die wir tagtäglich einnehmen, wir immer auch als Menschen stehen. Als Menschen, die sich nach einem glücklichen, möglichst leidfreien sehnen. Die Freud und Leid erleben, den Wogen des Lebens zu trotzen haben. Und gleichgültig in welcher gesellschaftlichen Position wir uns befinden, welchen kulturellen Hintergrund wir haben oder was uns in unserer Lebensgeschichte geprägt hat, mal gelingt es uns besser und mal schlechter mit den Anforderungen des Lebens fertig zu werden. Mögen wir im Äußeren auch noch so verschieden sein, in unserem Inneren, den tieferen Schichten unseres Seins sind wir uns schlussendlich ähnlicher als wir es für gewöhnlich für möglich halten. Und am Ende, ganz am Schluss, da sind wir alle gleich. Daran sollten wir versuchen zu denken, wann immer wir wütend, verletzt oder vom anderen enttäuscht sind. Für ein gutes Miteinander, für uns selbst, für den Frieden…..

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