Dankbarkeit

„Mitgefühl ist nicht töricht. Es sorgt nicht einfach dafür, dass andere bekommen was sie unbedingt haben wollen. Im Mitgefühl gibt es ein klares Ja ,aber ebenso ein klares Nein, das vom selben Mut des Herzens getragen wird. Nein zu Missbrauch, Rassismus und Gewalt- auf individueller aber auch auf globaler Ebene. Doch dieses Nein kommt nicht aus dem Gefühl des Hasses, sondern aus einer unerschütterlichen Fürsorge heraus“

-Jack Kornfield-

Ich erinnere mich an den 15 September 2022. Nahezu 2 1/2 Jahre sind in der Zwischenzeit vergangen, seit mein Vater diesen Planeten verlassen hat. 2 1/2 Jahre in denen viel passiert ist. In denen immer wieder neue Wege gesucht und gefunden werden mussten, in denen Grenzen neu definiert und gesetzt und die Weichen neu gestellt werden mussten.

Gedanklich bin ich oft sehr dicht bei meiner Familie, bei meinen Vorfahren, meiner Lebensgeschichte. Viele Erinnerungen tauchen auf und beim morgendlichen Spaziergang, bei dem mein Blick des Öfteren in den Garten meiner verstorbenen Großtante fällt, kann ich meine frühe Kindheit geradezu fühlen. Es sind gute Erinnerungen, die sich da einstellen. Erinnerungen an eine Atmosphäre, die mich als Kind sehr beeindruckt hat. Eine mondäne Atmosphäre, wohlhabend und weltoffen, so wie ich auch meine Großtante in Erinnerung habe.

Ich erinnere mich an den Geschmack von Kakao, an das Baden in einem kleinen, steinernen „Swimmingpool“, an laue Abende, an denen die Maikäfer durch den parkähnlichen Garten schwirren, an das Lachen meines Vaters, an die Nähe und die Wärme meiner Mutter.

Doch dies ist nicht alles was an Erinnerung auftaucht. Gleichzeitig spüre ich auch das Leid, den unverarbeiteten Schmerz, welcher unter dieser scheinbaren Unbeschwertheit, diesem Deckmäntelchen des mühsam erarbeiteten Wohlstandes liegt.

Zerrissenheit, die ich nicht nur heute, sondern wohl auch damals intuitiv wahrgenommen habe. Die ich gespürt habe, weil sie trotz aller Versuche meiner Eltern, sie zuzudecken, allgegenwärtig war.

Ich erinnere mich an die Erzählungen meiner Mutter über den Krieg. Über ihre Berichte darüber, wie sie miterlebt hat, wie die Häuser ihrer Familie und ihrer Verwandten direkt über ihren Köpfen zerbombt wurden. Ich spüre die Angst, das Entsetzen, die Erstarrung all dieser Menschen. Ich stelle mir vor wie sie zusammengekauert im Luftschutzbunker sitzen, über Ihnen die Luft erfüllt von Sirenengeheul, den Detonationen der einschlagenden Bomben, die alle Sicherheit in Schutt und Asche legen.

Ich erinnere mich an die Erzählungen meiner Mutter, wieviel Ablehnung sie bei der Evakuierung aus der Stadt auf das Land erfahren hat.

Trauer überfällt mich und gleichzeitig eine unfassbare Liebe und Nähe zu meinen Eltern. Am Nachhauseweg sehe ich einen kleinen Regenbogen. Merkwürdig, denn es gibt keinerlei Regen. Für einen kurzen Moment spüre ich die Gegenwart meines Vaters ganz deutlich und ich bin dankbar.

Ich bin dankbar dafür, dass sie mir trotz ihrer eigenen seelischen Wunden so viel an Geborgenheit geschenkt haben, wie nur irgendwie möglich war. Dafür, dass meine Eltern mir ausreichend Boden unter den Füßen gegeben haben, um den Schritt in mein eigenes Inneres wagen zu können, mich auf die Suche nach mir selbst, nach meinem ganz persönlichen Licht zu machen. Ihr seelischer Schmerz, den ich bereits in frühester Kindheit gespürt habe, war es, der mich aufgefordert hat loszulaufen, mich auf die Suche nach mir selbst zu begeben. Nach meinem inneren Licht zu suchen, das mich heute wärmt und mir den Weg erhellt, dann wenn es düster und schwierig wird.

An manchen Tagen, wenn der Wind ganz besonders heftig bläst, da habe ich noch Furcht. Dann bekomme ich Angst, dass dieses Licht vielleicht nicht groß genug sein könnte, um mich heil nach Hause zu bringen. Aber ich bin entschlossen. Wild entschlossen, es zu beschützen. Es zu behüten, damit es weiter wachsen und gedeihen kann, mir den Weg zeigen kann, um diese Welt zumindest in meiner näheren Umgebung ein kleines bisschen friedlicher werden zu lassen.

Epilog:

Wenn ich heute die Nachrichten höre, dann kann ich es manchmal kaum ertragen. Ich sehe, wie sich das Schicksal der Generation meiner Eltern, wie sich mein Schicksal oder besser noch gesagt das Schicksal meiner Generation an vielen Orten dieser Welt wiederholt. Täglich verlieren weitere Menschen durch Kriege einfach alles. Ihr ganzes Hab und Gut, ihre Heimat, ihre innere Sicherheit. Ich sehe wie täglich neue Traumatisierungen, körperliche und seelische Verletzungen von Menschenhand weitergetragen und unerbittlich an die nächste Generation weitergegeben werden, wie dadurch dem Frieden auf dieser Welt auf vielen Ebenen entgegengewirkt wird.

Keiner von uns kann diesen Planeten heilen, wir können noch nicht einmal diejenigen heilen, die wir am meisten lieben, denn Heilung, falls es sowas in absoluter Vollständigkeit überhaupt geben sollte, kann jeder nur in sich selbst finden.

Was wir jedoch tun können ist, uns mit unserer Biografie auseinanderzusetzen. Uns auf den Weg zu uns selbst zu machen, uns auf die Suche nach unserem ganz persönlichen, ureigensten Licht zu begeben. Es zu hüten und zu beschützen, damit es dazu beitragen kann diese Welt zumindest ein kleines Stückchen heller werden zu lassen.

I

8 Comments on “Dankbarkeit

  1. Schon das Zitat spricht für mich, was oft ich versuchte verständlich zu machen. Ein Nein kann wichtig sein und Grenzen bewahren, die für manch einen Menschen ein Halt sein kann. Das Nein gehört unbedingt dazu, bei der Erziehung und im Miteinander.

    Dein Text berührt und rührt an der eigenen Geschichte. Viele Türen werden aufgestoßen.

    Entsetzlich der Gedanke an das Kriegserleben. Wir können nur dankbar sein, dass es uns so gut geht, während andernorts die Hölle tobt. Es bekümmert mich sehr. Nachrichten bekomme ich nur wenig mit, ich habe keinen Fernseher, kein Radio (aus schützenden Gründen).

    Möge dein Licht weiter anstecken, wie die Kerze von Docht zu Docht…

    Liebe Grüße,

    Syntaxia

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    • Liebe Syntaxia,

      ich danke Dir sehr für dieses schöne Feedback. Ja, das „Nein“ ist in der Liebe unabdingbar und genau wie Du es beschreibst, es bietet so manchem einfach auch Halt und Sicherheit. Leider wird das nur allzuoft vergessen und Liebe wird mit Grenzenlosigkeit verwechselt. Grenzen aus einer liebevollen Haltung heraus zu setzen ist der Weg, wobei dies schon auch eine echte Herausforderung sein kann, wie ich finde.
      Was die Nachrichten betrifft, ich mache es ganz ähnlich wie Du, halte es in Grenzen aus Eigenschutz. Ich halte es für eine Notwendigkeit selbst aufrichtig den eigenen Weg zu gehen und diesbezüglich auch die Verantwortung zu übernehmen. Mit einem täglichen „sich Aufreiben“ am Weltgeschehen ist jedoch niemandem wirklich gedient. Es kostet nur Kraft die anderorts besser eingesetzt werden kann .
      Ich wünsche dir einen wunderbaren Tag, aller Schwierigkeiten die das Leben so bietet zum Trotz und schicke dir liebe Grüße
      Daniela

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  2. Liebe Daniela,

    du sprichst mir mal wieder aus der Seele…
    Nicht nur die Biografien unserer Eltern ähneln sich sehr, sondern auch die Erfahrungen mit der Reise ins Innere und der Auseinandersetzung mit den Traumata der Eltern.

    Danke, dass du das alles so treffend in Wort bringst!

    Liebe Grüße

    Stefan

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  3. Liebe Daniela,

    auch ich glaube an das innere Licht, das jedem Menschen innewohnt. Der kleineste gemeinsame Nenner aller gläubigen Menschen. Auch ich weiß, wie mühselig die Suche danach war und teils immer noch ist. Aber es wärmt und zeigt die Richtung.

    Meine Eltern waren 1945 10 bzw. 11 Jahre jung. Kriegskinder, die erste Generation nach den Tätern. Sie sollten für ihr ganzes Leben gezeichnet sein. Auch ich als Angehöriger der so genannten Kriegsenkelgeneration bekam das zu spüren. Wie sonst träumt ein Kleinkind regelmäßig nachts von Feuer, ohne je solchem ausgesetzt gewesen zu sein? Meine letztendlich erfolglose „Therapie“ waren 22 Jahre Alkohol- und Drogenmissbrauch, bevor ich kapitulieren durfte. Mein Sohn gehört mit seinen fast 29 Jahren der ersten, beinahe unbelasteten Generation an. Drei Generationen – so lang dauert es, die Folgen eines Krieges zu überwinden.

    Heute scheint mir, all dies ist vergessen worden. Die Mehrheit priorisiert mit gutem Grund ihren Lohn und Brot, andere das Klima und den Naturschutz, und sehr viele fürchten sich vor den Heerscharen Entwurzelter, die in ihrer Not hierher kommen möchten. Über den Frieden machen sich vergleichsweise wenige Gedanken, allenfalls dann, wenn mal wieder jemand massiv mit Massenvernichtung droht. Mir scheint, sie alle wissen nicht, dass der Frieden oberste Priorität haben muss. Ohne ihn gibt es keine Arbeit, keinen Naturschutz und die Masse der Flüchtigen wird noch anschwellen. Möge dies im Bewusstsein mancher Säbelrassler mehr Raum einnehmen.

    Sei herzlich gegrüßt, Reiner

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    • Guten Morgen lieber Reiner,
      jetzt hab ich gerade den Versuch unternommen eine ausführliche Antwort zu formulieren und gleich wieder gelöscht, weil ich hier gerade einfach keine Ruhe finde um mich zu sortieren. Ich melde mich noch ausführlicher und schicke Dir erstmal liebe Grüße,
      Daniela
      P. S.
      Und danke für Dein so ausführliches und offenes Feedback 😊🙏😊

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    • Lieber Reiner,
      wenngleich Dein Feedback so umfangreich und gehaltvoll ist, dass ich eigentlich kaum weiß wie ich eine Antwort, welche das Wichtigste aufgreift‚ formulieren soll möchte ich es jetzt einfach mal versuchen.
      Zunächst einmal, Dein Text vom Inneren Licht hat mich sehr berührt. An dieser Stelle möchte ich einfach nur sagen, dass es exakt formuliert was ich diesbezüglich denke und fühle. Dem gibts eigentlich nicht viel hinzuzufügen, außer vielleicht dass dieses Licht nicht nur dem Menschen innewohnt, sondern aus meiner Sicht allem was IST. Allem was das Leben selbst an Leben hervorgebracht hat und damit sicher bei weitem mehr als unser alltägliches Bewusstsein erfassen kann. Wir Menschen haben vielleicht nur den „ Vorteil“ dass wir über die Fähigkeit zu reflektieren verfügen und damit zumindest eine Chance darauf haben dieses innere Licht zumindest in Ansätzen zu erfassen.
      Um diese Chance ergreifen zu können müssen wir uns jedoch auf den Weg machen, die notwendigen „ Ausgrabungsarbeiten“ vornehmen um so viel wie möglich dessen was unser Bewusstsein ausmacht integrieren zu können. Hierzu gehört biografisches Material, aber auch kollektives und ein gewichtiger Teil davon ist sicherlich die Auseinandersetzung mit unserer ganz persönlichen Geschichte, unseren Erfahrungen. Wie wir beide wissen ist dies alles andere als ein leichter Weg, denn er verlangt uns ab uns selbst zu begegnen. Unserem Schmerz, unserer Wut, unserer Angst, unserer Trauer. Es fordert von uns unserem Schatten zu begegnen, ihn in seinem Ursprung zu verstehen und zu begreifen und vor allem zu verzeihen, uns selbst und damit auch anderen. Je mehr dies gelingt, desto größer wird unserer Mitgefühl. Desto mehr begreifen wir, dass es weder Täter noch Opfer gibt, dass wir alle immer beides gleichzeitig sind. Menschen die am Leben leiden und ( noch ) keinen besseren Weg finden dieses Leiden zu beenden. Ich denke exakt so verhält es sich auch mit den Traumata aus Kriegszeiten. Sie wurden nicht vergessen, eher verdrängt. Aus Angst vor dem Schmerz, der eigenen Schuld und vielem mehr. Einfach allem was das „ Mensch Sein „ ausmacht. Ich denke so hat irgendwie auch alles Berechtigung und vermutlich auch Notwendigkeit. Der Kampf um Natur und Klima ebenso wie der Kampf um „Brot und Arbeit „ u.s.w . Immer geht es ja doch in irgendeiner Form um den Schutz des Lebens, wenngleich dazu angemerkt werden muss, dass es ganz oft nur um das eigene Leben geht und der Rest vergessen wird. Kurzsichtig, wie wir Menschen nun mal sind, eben. Ich glaube wenn verstanden wird, dass wir alle in erster Linie unglaubliche Egoisten sind, die immer (auch ) aus Eigennutz handeln und wenn wir in der Lage sind dies auch anderen zuzugestehen, dann ist der erste Schritt zu echtem, innerem und äußeren Frieden getan. Leider sind wir da insgesamt wohl Lichtjahre davon entfernt und eine abschließende Antwort darauf was richtig und was falsch ist gibt es vermutlich nicht. Oder zumindest habe ich sie für mich nicht. Alles was bleibt ist diese Antwort zu suchen, jeden Tag neu und im Vertrauen darauf dass schon alles seine Richtigkeit haben wird. Unser Licht ebenso wie unser Schatten ( unsere Fehler ebenso wie das was wir gut und richtig machen) und dass alles was IST in irgendeiner Form dazu dienlich ist dieses Licht in unserem Inneren mehr sichtbar, mehr bewusst werden zu lassen.
      Lieber Reiner, ich hab jetzt einfach drauf los geschrieben und keine Ahnung ob ich Deine Antwort auf allen Ebenen erfasst habe. Es waren einfach nur die Gedanken die mir heute früh dazu in den Sinn gekommen sind und vermutlich könnten wir an dieser Stelle noch unendlich gemeinsam weiter philosophieren, was mich auch freuen würde 😊Für den Moment lasse ich es jetzt einfach mal so stehen und hoffe dass es für Dich so in Ordnung ist.
      In diesem Sinne schicke ich Dir ganz liebe Grüße und wünsche Dir einen guten Start in den Tag
      Daniela

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