„Wenn zwei Falken auf einem Baum sitzen und es fliegt ein Schwarm Wildenten vorbei – dann sagt nicht ein Falke zum anderen : Schau, da fliegt die Mehrheit, das muss der richtige Weg sein, schließen wir uns an! Sie werden weiterhin als Falken dem Weg der Falken folgen.
-Indianische Weisheit-
„Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnt sich nach dem Vollkommenen, Ewigen und Unendlichen als seinem Ursprung und seinem Ziel“
-Matthias Claudius-
„Wenn das menschliche Herz im Einklang mit der Harmonie des Universums schlägt, dann wirken alle Dinge zu unsrem Wohl und wahre Magie und Wunder werden möglich.“
–Vinzens, Mark David–
Ja, wie von Zauberhand scheinen sich die Probleme, die über einen so langen Zeitraum hinweg nahezu unlösbar erschienen, aufzulösen.
Die Talsohle der Trauer ist durchschritten und der schlimmste Schmerz ist einem sehr viel milderen Vermissen gewichen. Nahezu zeitgleich hat mich das Leben wieder in Besitz genommen, mich weiter voran getragen, ohne auch nur für eine Sekunde Halt zu machen….
Am 26.09. 22 wurde nach vielen Anläufen nun endlich eine Biopsie der Knoten in meiner Bauchdecke vorgenommen. Sie blieb ohne malignen Befund. Gefunden wurden lediglich Lipome, also gutartige Tumoren des Unterhautfettgewebes. Weshalb ich an so vielen Stellen meines Körpers gutartige Tumoren entwickle bleibt erstmal weiterhin ungeklärt. Aber wer weiß, vielleicht werden darüber, die noch ausstehenden Ergebnisse der genetischen Untersuchung, noch Aufschluss geben.
Weiter ging`s am 12.10.22 an die medizinische Hochschule nach Hannover, denn dort ist man führend auf dem Gebiet der Sjögren-Syndrome mit neuronaler Beteiligung. Dieser Termin verlief, entgegen aller Erwartungen, vollkommen unspektakulär und ohne große Wirrungen. Denn findet man den richtigen Arzt, so kann dann wohl auch die richtige Diagnose erstellt werden.
Ohne Probleme konnten die unzähligen Befunde in einen Zusammenhang gebracht werden, plötzlich ergab alles Sinn. Nun steht sie also, die Diagnose die scheinbar alles erklärt: Primäres Sjögren-Syndrom mit Lungen – und Nervenbeteiligung. Eine reife B-Zell-Neoplasie, welche am ehesten einem Marginalzonenlymphom entspricht, sowie der Verdacht auf eine Kyroglobulinvaskulitis, welche mit dem Sjögren-Syndrom und mit Lymphomen assoziiert wird und die, aufgrund von Entzündungen in den kleinen Gefäßen, für einen Sauerstoffmangel sorgt und damit die Nerven schädigt.
Und damit steht nun auch die Behandlungsindikation. Ich bekomme ab jetzt wieder Rituximab. Zunächst in Form einer Induktionstherapie (Zwei Infusionen im Abstand von zwei Wochen) und danach im Abstand von jeweils einem halben Jahr eine Infusion als Erhaltungstherapie. Dazu noch Quensil (ein Antimalariamittel) obendrauf, um die Entzündung möglichst flach zu halten und dem Lymphom damit den Boden zu entziehen.
Nun bleibt also nur noch zu hoffen, dass das Lymphom in den vergangenen beiden Jahren die Beine still gehalten hat und die Biopsie meiner Ohrspeicheldrüse, die noch in der vergangenen Woche vorgenommen wurde, ohne Befund bleibt ..
Ja, wenn sich das Lymphom nun auch noch in Remission befindet, dann ist es wohl geschehen, mein kleines, ganz persönliches Wunder. Unfassbar, nicht wahr?! Manchmal geschehen Wunder doch tatsächlich gerade dann, wenn man losgelassen hat und man es nicht mehr für möglich hält…..
Epilog:
Mit heutigem Datum habe ich den Brief der medizinischen Hochschule erhalten. Die Kyroglobulinvaskulitis konnte aufgrund der Blutwerte vorerst wohl nicht bestätigt werden, jedoch ist die Hyperkalzämie erneut aufgetreten. Letztere erklärt die neurologischen Auffälligkeiten ebenso, spricht jedoch eher für die Aktivität des Lymphoms als für die Aktivität des Sjögren -Syndroms. Die Behandlungsindikation bleibt jedoch bestehen und da das Rituximab sowohl in Bezug auf das Sjögren als auch auf das Lymphom Wirkung zeigen wird , bleibe ich weiterhin entspannt und glaube nach wie vor an mein ganz persönliches, kleines Wunder
„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden. Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden. Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde“
-Hermann Hesse-
Die erste Erschütterung, die der Tod meines Vaters, unabhängig davon wie bewusst ich ihn erwartet habe, mit sich gebracht hat, liegt hinter mir. Noch immer erlebe ich Wellen der tiefen Trauer, aber die inneren Bilder, Emotionen und Gedanken beginnen sich zu sortieren.
Die leidvollen, schrecklichen Bilder, die Erinnerung an die fieberhafte Suche danach, im richtigen Augenblick die richtigen Entscheidungen zu treffen, um meinem Vater ein möglichst leidfreies und würdiges Sterben zu ermöglichen, treten zunehmend in den Hintergrund und geben den Platz frei für die liebevollen, heilenden Momente die meine Familie und ich in den vielen Stunden, die wir am Sterbebett meines Vaters verbracht haben, erleben durften.
Mehr denn je, mehr als ich es mir jemals zuvor habe vorstellen können ist mir bewusst geworden, dass das Sterben zwar unsagbar schmerzlich ist, gleichzeitig jedoch tatsächlich ein dramatisches, gewaltiges „Grande Finale“ darstellt, welches ein erfülltes Leben zum Abschluss bringt, es vollendet.
Niemals zuvor habe ich mich dieser grenzenlosen Liebe, die wir wohl alle auf dem tiefsten Grund unseres Daseins sind, näher gefühlt als in den Tagen und Stunden in denen ich die Hand meines Vaters gehalten habe. Wohl nie zuvor war ich ihm persönlich näher als in diesen Augenblicken. Und wohl niemals zuvor habe ich deutlicher gefühlt, dass Schmerz und Liebe, dass „Verloren und Getragen Sein“ keine Gegensätze sind, sondern dass sie vielmehr allesamt Ausdruck ein und derselben Daseinsform sind, die uns alle auf einer tieferen Ebene untrennbar miteinander verbindet .
Diese Erfahrung macht mich, trotz des noch immer währenden Schmerzes des Abschieds, reich. Sie macht mich demütig, stark und frei gleichermaßen. …ja, wohl an denn Herz nimm Abschied und gesunde…….
EPILOG:
Bei allem Schmerz und aller Trauer geht das Leben weiter. Derzeit warte ich auf das Ergebnis der Biopsie, die aus einem der Knoten in meiner Bauchdecke entnommen wurde. Dieses wird wohl darüber entscheiden, ob die für Ende Oktober weiterhin geplante Biopsie meiner Ohrspeicheldrüsen noch von Nöten sein wird, um das Lymphom vom Sjögren-Syndrom abzugrenzen, um endlich die passende Behandlung in die Wege zu leiten. Denke ich daran was in den kommenden Wochen an Arztbesuchen und evtl. daraus resultierenden Untersuchungen noch vor mir liegt, so machen sich Ängste und Sorgen breit, spüre ich Wiederstand. In der Stille jedoch, wenn ich draußen in der Natur zur Ruhe komme, dann spüre ich sie noch immer, die Hand meines Vater in der meinen. Dann weiß ich, dass mir in aller letzter Konsequenz nichts geschehen kann. Ja, dass alles gut ist, genau so wie es ist…..
“ Es gibt viel Trauriges in der Welt und viel Schönes. Manchmal scheint das Traurige mehr Gewalt über uns zu haben, als man ertragen kann, dann stärkt sich indessen leise das Schöne und berührt wieder unsere Seele“
-Antoine de Saint-Exupery-
Gemeinsam haben wir hinabgesehen bis auf den Grund. Durch alle Sehnsüchte, alle unerfüllten Wünsche und Verletzungen hindurch und am Ende war da nur Liebe, tiefe allumfassende Liebe im niemals versiegenden Licht der Unendlichkeit….
Epilog:
Mein Vater ist am 15.09.22 gestorben. Wir haben es geschafft ihm seinen sehnlichsten Wunsch, zuhause im Kreise seiner Familie sterben zu dürfen, zu erfüllen. Für mich war es die schmerzlichste, dramatischste und in manchen Augenblicken die liebevollste und ergreifendste Erfahrung, die ich bislang in meinem Leben gemacht habe. Noch überwiegt der Schmerz über den Verlustes und ich bin noch nicht wieder bereit mich dem Außen zuzuwenden. Aber ich weiß, dass irgendwann der Tag kommen wird, an dem der Schmerz der Gewissheit weichen wird, dass mein Vater es überstanden hat, dass sein Leben sich erfüllt und all sein Leiden nun ein Ende hat. Und die Liebe….sie wird für immer in meinem Herzen bleiben.
„Loslassen heißt auch vom Loslassen loslassen“
–Georg-Wilhelm Exler–
Mein Vater sieht seinem Ende entgegen, wir steuern in riesigen Schritten darauf zu. Ich bin in Frieden mit ihm, mit seinem Leben, ganz so wie er es gelebt hat und damit bin ich es auch mit mir. Ich bin Einverstanden damit, dass sein Leben sich erfüllt hat und dennoch bleibt die Angst vor dem Moment in dem er uns für immer verlassen wird, vor dem Schmerz, den der Abschied mit sich bringen wird. Ich schwanke zwischen dem Wunsch er möge noch bleiben, dem Wunsch ihn festhalten zu können und dem Wunsch er möge seinen Frieden finden. Es ist anstrengend, so unfassbar anstrengend, aber das ist okay. Zu leben und zu lieben IST anstrengend….. Loslassen bedeutet auch das Loslassen loszulassen .
EPILOG:
Alles was wir derzeit als Familie erleben ist derartig intensiv, ist von einer derartigen Tiefe, so persönlich, dass es ausschließlich für mich und meine Lieben bestimmt ist.Vielleicht kommt irgendwann der Tag an dem ich darüber schreiben kann, möchte……Im Moment wünsche ich mir nur eines, ganz bei mir und meiner Familie zu sein……
„Der Zauber der Natur kennt keine Tricks -wir verstehen sie-wenn wir unser Herz öffnen“
-Klaus Ender–
Bilder des Tages, zauberhafte Momente am Federsee☺️ 😊