Impulse für ein natürliches Leben
Heute früh, als ich wie jeden Morgen üblich, mit meinen Hunden in Wald und Flur unterwegs war, war sie plötzlich wieder da. Diese sanfte Melodie in meinem Inneren, die sich, ohne dass ich sie zunächst bewusst hätte wahrgenommen, langsam in ein leises zartes Summen verwandelt hat.
Wie schön, dachte ich bei mir. Das ist es ja wieder, dieses Summen, das einen fast schon meditativen Zustand anzeigt. Einen Zustand der sich ohne jegliches Zutun meinerseits völlig von alleine einstellt, immer dann wenn ich ganz bei mir selbst bin. Dann wenn ich völlig einverstanden damit bin, wie sich die Situation gerade zeigt. Jetzt, gerade jetzt!!!! Nur in diesem einen Moment. Wunderbar !!!
Früher hatte ich diesen Zustand sehr oft. Draußen in der Natur, im Zusammensein mit meinen Tieren oder beim Malen. Am meisten und in Windeseile bei mir selbst fühle ich mich an den weiten Stränden der Nordsee. Dort dauert es in der Regel nur wenige Minuten, bis ich vollkommen in mein Innerstes eintauchen kann, bis ich ganz und gar bei mir selbst bin und ich die Melodie meiner Seele hören kann.
In der letzten Zeit habe ich diesen Zustand vermisst. Sehr oft vermisst, oder andersrum formuliert, ihn nur noch sehr selten gespürt. Irgendwie scheint die Last der Erkrankung in den vergangenen Jahren doch zu groß geworden zu sein. Immer schwerer erschien es mir in der letzten Zeit diesen Zustand für mich noch erreichen zu können.
Es war wohl dieser verdammte Wettlauf um mein Leben, dieses Ringen darum, dass man meinen Zustand überhaupt ernst genommen hat, der mich so viel meiner ansonsten doch recht üppig vorhandenen Energie gekostet hat.
Immer wieder tauchen in der letzten Zeit Fragmente der vergangenen Jahre auf. Manchmal nur sehr vage, so dass ich sie kaum zu fassen bekomme. Aber trotzdem latent immer irgendwie vorhanden.
Die Erinnerungen an die vergangenen Jahre. All diese schlimmen Erfahrungen haben sich wie ein dunkles, schwarzes Knäuel in meinem Inneren manifestiert. So unglaublich dicht und scheinbar unauflöslich, dass einzelne Begebenheiten, die einzelnen Verletzungen der vergangenen Zeit, kaum noch zugänglich für mich waren.
In diesem Zustand bin ich hier in meinem neuen Zuhause angekommen. Körperlich durch den jahrelang unerkannten „Wolf“ in mir und die darauf folgende Chemotherapie völlig ausgelaugt. Äußerlich aufgedunsen vom Cortison, innerlich diesen „Felsbrocken“ aus unaufgelösten Emotionen zentnerschwer mit mir herum tragend.
Die Anwesenheit des Todes permanent im Nacken, ohne dass da jemand war der mir geholfen hätte ihn angemessen in mein, in unser Leben zu integrieren . Wie denn auch ?! Ausgesprochen und anerkannt wurde sie ja gar nicht!!! Aus Sicht der Medizin war ich ja gar nicht krank all die Jahre, war mein Leben angeblich gar nicht bedroht, obwohl ich es längst schon verloren hatte.
Und noch immer liegt das Deckmäntelchen des Schweigens, bezüglich dessen was geschehen ist, wie ein Leichentuch über den Versäumnissen der vergangenen Jahre. Allenfalls peinlich geschwiegen wird noch heute darüber, dass ich jahrelang vom medizinischen System, mit einem ganzen „Zoo“ voller Erkrankungen, vollkommen alleine gelassen wurde. Dass ich jahrelang in gesundheitlich schlechtestem Zustand Mutterseelen alleine, durchs medizinische geirrt bin, ohne Hilfe und Unterstützung zu erlangen.
Die Angst davor, dass ich irgendjemanden persönlich dafür verantwortlich machen könnte dafür was geschehen ist, scheint übergroß zu sein. So groß, dass das allereinfachste, dass ein schlichtes “ Es tut mir so leid für Sie, dass sie eine so grauenvolle Geschichte erleben mussten“ nicht ausgesprochen werden kann.
Dabei bin ich gar nicht mehr wütend, habe diesbezüglich gar keine Rachegedanken mehr, diese habe ich längst schon hinter mir gelassen!!!! Ich weiß doch längst, dass es falsch wäre einen einzelnen Menschen für die Katastrophe, die mir da widerfahren ist, verantwortlich zu machen, sind es doch so viele Faktoren, die in letzter Konsequenz da zusammen gespielt haben.
Nein, Wut spüre ich nicht mehr. Ich habe kein Verlangen mehr nach Wiedergutmachung, aber ich wünsche mir, dass ich Betroffenheit erkennen kann. Dass ich Betroffenheit in den Gesichtern derjenigen erkennen kann, die beteiligt waren. Nicht weil ich andere Menschen leiden sehen möchte, das liegt mir fern. Nur weil ich weiß, dass nur dann, wenn Betroffenheit darüber was geschehen ist gespürt werden kann, auch der Wunsch nach Veränderung entstehen wird.
Aber alles was ich wahrnehmen kann, wenn der Blick auf meine medizinische Akte fällt, ist eine Mauer des Schweigens. Nicht weil die Worte fehlen, nicht weil Betroffenheit sprachlos macht. Nein, vielmehr weil nicht sein kann, was nicht sein darf!!!!!
Ja, schwer wiegt eine Last die es alleine zu tragen gilt, da sie um keinen Preis thematisiert werden darf. Denn dort wo geschwiegen wird, dort wo nicht an`s Licht darf was so dringend ausgesprochen werden müsste, werde ich der Möglichkeit beraubt zu trauern. Den Verlust meiner Lebenszeit zu betrauern, zu trauern um all die verpassten Möglichkeiten, zu trauern damit ich loslassen und mein Blick nach vorne wieder frei werden kann.
Und trotzdem !!! Ganz allmählich, je mehr ich schreibe, desto mehr kann ich die Trauer um das was mir in den vergangenen Jahren genommen worden ist, zulassen. Je mehr die Tränen fließen können, desto freier und gelöster fühle ich mich. Und dann kann ich es auch wieder fühlen . Dieses wunderbare Gefühl, ganz mit mir und dem was in diesem einen Moment gerade ist, im Einklang zu sein. Dann kann ich wieder einverstanden sein damit, was im Hier und jetzt ist, da die Last der Vergangenheit von meinen Schultern genommen ist.
Geschafft? Nein, sicherlich noch lange nicht. Zu groß sind die Verwüstungen der vergangenen Jahre. Aber ich bin unterwegs, ich werde es schaffen. Und bis dahin werde ich schreiben, schreiben und nochmals schreiben……selbst auf die Gefahr hin, dass all diejenigen, bei denen es eigentlich Gehör finden sollte, keinerlei Interesse daran haben, was ich zu sagen habe. Ich werde schreiben!!!!!
Ja, schreib weiter. Heute Abend trauere ich mit dir, ganz intensiv.
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Ich danke Dir, liebe Caro, für die Nähe die ich trotz der großen Entfernung doch immer wieder zu Dir fühlen kann. Noch hält mich die Erkrankung zu sehr gefangen. Aber wer weiß, vielleicht kommt irgendwann der Tag an dem eine persönliche Begegnung möglich sein wird. In diesem Sinne, fühl Dich herzlichst umarmt , Daniela
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Bin bewegt, so authentisch.
Danke
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Ich danke Dir von Herzen. Ich freue mich sehr wenn es mir gelingt Menschen in ihrem Inneren zu bewegen.
Liebe Grüße, Daniela
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