Mitte….

„Sie woben ohne Unterlass an jener Gemeinschaft der Menschen, an jenem Geflecht von Beziehungen, welches bewirkt, dass einem jeden etwas entrissen wird, wenn dann einer von ihnen stirbt“

– Antoine de Saint-Exupery –

Im Moment ist die Lage relativ ruhig bei uns. Eine weitere Stufe der Akzeptanz für die Erkrankung meines Vaters ist erreicht, sowohl bei meinem Vater, als auch bei uns.

Eigentlich bin ich froh darüber, denn jedes Quäntchen an Akzeptanz für den Verlust der eigenen Autonomie, für den Verlust eines geliebten Menschen muss durch viele Stadien der Trauer gehen. Wut und Tränen gehören ebenso dazu, wie Verdrängung, Verleugnung und hilflose Sprachlosigkeit.

Ja, aus meiner eigenen Geschichte weiß ich mehr als gut, durch wie viele innere Täler man zu gehen hat, bis einem der wohlverdiente Frieden zuteil wird, den das schlichte Akzeptieren einer Situation, schlussendlich mit sich bringt. Und dennoch ist es jedes Mal auf`s Neue schwer.

Und ja, ich freu mich tatsächlich weil dies geschafft ist. Ich freu mich, weil dadurch der Alltag zumindest für den Moment leichter geworden ist, reibungsloser läuft, weniger belastend ist. Für meinen Vater, aber auch für meine Mutter, für die Pflegekräfte, für uns alle…Ich freu mich, weil die größer gewordene Akzeptanz, uns alle unserem Ziel, meinem Vater einen Abschied zuhause zu ermöglichen, ein kleines Stückchen näher gebracht hat.

Und gleichzeitig erlebe ich Momente großer Traurigkeit, weil ich ebenso weiß, dass Akzeptanz auch gleichbedeutend damit ist, dass der Erkrankung mehr Raum gegeben wurde. Raum, den sie unerbittlich und gnadenlos eingefordert hat. Ich trauere, weil ich weiß, dass sie uns neben dem Frieden den sie uns schenkt, auch gleichzeitig den Abschied näher bringt…

In den nächsten Tagen hat meine Mutter Geburtstag, stolze 82 Jahre wird sie alt.

In solchen Momenten wird mir die Brüchigkeit der Situation besonders bewusst, denn wenngleich die Pandemie in der Zwischenzeit an Schärfe verloren hat, für Risiko- Patienten stellt sie noch immer eine Bedrohung dar. Geburtstag bedeutet feiern, gemeinsam feiern und so liefert das, was eigentlich Anlass zur Freude ist, wieder einmal Nahrung für einen seelischen Konflikt, der in der Zwischenzeit für mich schon fast gar alltäglich geworden ist.

Um es vorweg zu schicken, wir alle sind geimpft, geboostert und ich hab sogar bereits die vierte Impfdosis intus. Um mich mach ich mir demnach in der Zwischenzeit auch deutlich weniger Sorgen. Mitunter darauf vertrauend, dass es mittlerweile für Patienten wie mich, die kaum mehr über ein Immunsystem verfügen, Medikamente gibt, welche mich im schlimmsten Fall vor einem Ausflug auf die Intensivstation bewahren.

Für meinen Vater sieht es da schon ganz anders aus, eine Infektion würde für ihn mit Sicherheit den Tod bedeuten und dies nicht zuletzt deshalb, weil es sein ausdrücklicher Wunsch ist und war, kein weiteres Mal ins Krankenhaus gebracht zu werden….

Ich kann es nicht ändern, an dieser Stelle taucht unweigerlich der Impuls auf, meinen Vater schützen zu wollen. Werde ich mir der Situation bewusst, fängt mein Kopf fieberhaft an zu arbeiten, wägt ab ob ausreichend Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden können, um eine Infektion gesichert ausschließen zu können.

Und dies obgleich wir nicht nur einmal darüber gesprochen haben, dass dies weder möglich, noch wünschenswert ist. Nicht erstrebenswert, da vollständige Sicherheit gleichbedeutend mit vollständiger Isolation wäre und da dies uns alle mit Sicherheit, um das letzte bisschen an gemeinsamer Lebensfreude bringen und zudem, dem Wunsch meines Vaters nicht angemessen wäre.

Die Entscheidung ist schnell getroffen. Wir werden feiern. Mit entsprechender Vorsicht, aber auch im Bewusstsein, dass wir das Leben nicht aufhalten können, sollte es sich entschließen in Form des Todes bei uns Einzug zu halten

Mein Kopf weiß, dass dies die richtige Entscheidung ist, aber mein Herz weint…mein Handeln entspringt irgendwo zwischendrin, in der Mitte…..

Epilog:

An dieser Stelle möchte ich unseren 3 Damen von der Pflegeagentur von Herzen meinen Dank aussprechen. Mit ihnen sind 3 tatkräftige, starke Frauen Teil unserer Familie geworden, die anpacken wo immer es notwendig ist. Die mit uns aushalten und ertragen. Die mit uns lachen, sich ärgern und weinen und die vor allen Dingen, und das ist das Allerwichtigste, ein riesengroßes Herz aus ihrer polnischen Heimat mit zu uns gebracht haben.

8 Comments on “Mitte….

  1. Bestimmt geht alles gut wenn ihr euch vorher alle testet.
    Vielleicht sogar mehrfach, aber mehr könnt ihr nicht tun.
    Ich wünsche euch eine fröhliche Geburtstagsfeier trotz allem
    damit deine Mama einen schönen Tag hat.
    Liebe Grüße
    Brigitte

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    • Ich Danke Dir, liebe Brigitte. Ja, wir werden testen und einen Tag zum feiern wählen an dem die Temperaturen es zulassen im Garten zu sitzen . Wir alle brauchen die guten gemeinsamen Momente dringend und meine Mutter ganz besonders . Aus purer Angst darauf zu verzichten wäre sicherlich nicht richtig und in letzter Konsequenz werden nicht wir entscheiden wann der Tag des Abschieds gekommen ist. Ich finde das schwer zu akzeptieren und gleichzeitig entlastet es. Ich schicke Dir liebe Grüße und wünsche auch Dir eine gute Zeit mit vielen glücklichen Momenten
      Daniela

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  2. Feiern macht Freude (den meisten jedenfalls). Lebensfreude, die lebensverlängernd wirken kann. Alter, Krankheit und Elend – auch meine Themen. Fühl dich gedrückt, liebe Daniela!

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    • Ja, lieber Reiner. Lebensfreude ist so wichtig. Und jeder Moment in dem es gelingt, all dem Leid die Schönheit des Lebens entgegenzusetzen ist ein gewonnener Moment. Diese Augenblicke dürfen wir uns nicht nehmen lassen, all den schmerzlichen Erlebnissen zum Trotz. Fühl Dich ebenso gedrückt und pass gut auf Dich auf…
      Daniela

      Gefällt 1 Person

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