Ausgrabungen

Kann das….so lange Verdrängte, das aus unserem Bewusstsein Vertriebene, noch gerettet, in`s volle Leben zurückgerufen werden? Die Antwort ist ja, kategorisch ja.

-Clarissa Pinkola Estes –
jungianische Psychoanayltikerin und Cantadora, Bewahrerin der alten Geschichten

Eigentlich wollte ich ja, in Anlehnung zu meinem letzten Beitrag , noch etwas zum Thema Frieden sagen. Doch je länger ich nachdenke, desto schwieriger wird es meine Gedanken zum Thema zusammen zu fassen, auf den Punkt zu bringen, weshalb an dieser Stelle nur noch Folgendes gesagt werden soll.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass der Mensch auf dem Grunde seiner Seele gut ist, genau so wie er eben ist. Ebenso tief überzeugt bin ich jedoch auch, dass die Gesellschaft in der wir leben in eine ordentliche Schieflage geraten ist, eine Schieflage die mitunter durch unsere eigene (kriegerische) Geschichte entstanden ist.

Wir bewegen uns in einem System, welches seinem Ursprung nach in den tiefen Traumata unserer Eltern und Großeltern begründet liegt. Traumata, ausgelöst durch einen Krieg, der in seiner Erscheinungsform grausamer kaum hätte sein können und welcher tiefe Narben in den Seelen derjenigen hinterlassen hat, welche ihn, in welcher Form auch immer, miterleben mussten.

Ich denke, dass wir, falls wir echte und nachhaltige Veränderungen wünschen, den Mut aufbringen müssen, uns dieser Realität zu stellen. Wir brauchen Menschen, welche die Mühe auf sich nehmen die entsprechenden Ausgrabungsarbeiten vorzunehmen, sich der eigenen Wut, dem eigenen Schmerz zu stellen. Menschen, die bereit sind ihre Geschichten zu erzählen, damit sie andere berühren, sie ermutigen sich selbst auf den Weg zu machen die alten Wunden zu heilen.

Um nachhaltigen Frieden erreichen zu können müssen wir die seelischen Verletzungen unserer Vorfahren verstehen lernen, sie emotional begreifen. Wir müssen den eigenen Schmerz begraben, uns gemeinsam auf den Weg machen mit Ihnen zu trauern, um die vielen Verluste, die der Krieg auch in unserem Land hervorgebracht hat. Wir müssen trauern, jeder für sich alleine und im Kollektiv. Damit endlich heilen kann, was der Krieg an Verwüstung in den Seelen derjenigen hinterlassen hat, die ihn erlebt haben. Damit wir endlich damit aufhören können, diese Verletzungen ungewollt von Generation zu Generation weiterzutragen.

Vielleicht wird dann endlich verstanden, dass die Leere in den Herzen nicht durch den Überfluss an ständig verfügbaren Gütern gefüllt werden kann. Dass der seelische Hunger, der in unserer Gesellschaft eine solch weite Verbreitung findet, nicht gestillt werden kann durch eine stetig wachsende Haltung von „Größer, Schneller, Weiter“. Vielleicht wird es uns dann endlich möglich sein das Wohl aller Menschen ins Zentrum unserer Bemühungen zurück zu holen.

Vielleicht gelingt es uns dann den Frieden in uns selbst zu finden, den wir benötigen, um den Frieden den wir uns alle so sehnlichst wünschen hinaus in die Welt tragen zu können.

EPILOG:

Wer hier schon eine Weile mitliest, der weiß… das Leben hat mir eine ganz schöne Breitseite verpasst, mich regelrecht „aufgebrochen“. Bewusst sage ich nicht „zerbrochen“ denn genau genommen war eben diese Geschichte, die so unheilvoll anmutet, die ich mir niemals aus freien Stücken ausgesucht hätte, die wohl größte Chance meines Lebens.

Gerade die unheilvollen Zeiten im Leben haben mir dazu verholfen, mich auf den Weg zu machen, mich auszusöhnen, Frieden zu schließen mit meiner Lebensgeschichte, mit meinen Eltern und damit mit mir selbst.

Ich habe verstanden, verziehen gerade noch rechtzeitig, um meinen Vater in tiefer Liebe und Dankbarkeit gehen lassen zu können. In vollem Bewusstsein wer er war. Und ich hoffe darauf, dass mir noch viel Zeit verbleibt, bis ich meine Mutter in ebenso tiefer Liebe und Dankbarkeit werde gehen lassen müssen.

Nachhaltiger Frieden beginnt im ganz Kleinen, in unseren Familien, im eigenen Herzen.

8 Comments on “Ausgrabungen

  1. Liebe Daniela, das hast du ganz toll geschrieben und beschrieben. Deine Worte gehen wie immer sehr tief und berühren das Herz…! Danke für diesen Beitrag. Er ist so wichtig.
    Denn Stichwort „Epigenetik“ und deren schlimme Folgen… WW1 + WW2 hoffentlich nicht = WW3
    LG Barbara

    Gefällt 2 Personen

    • Epigenetik bedeutet genetische Veränderung durch Umwelt. Eigentlich stammt der Begriff aus der Biologie. Du kennst sicher die Beobachtung, dass manche Elefanten in Afrika ihre traumatischen Erfahrungen mit Menschen an ihre Nachkommen weitergeben. So gibt es ganze Gruppen, die besonders aggressiv gegenüber Menschen reagieren und sofort in den Attackemodus verfallen, wenn sich Menschen nähern.
      Inzwischen haben Wissenschaftler*innen erkannt, dass auch bei Menschen Traumata in genetisch weiter geben. Gewaltsames Verhalten zum Beispiel erzeugt genetische Veränderungen, die wiederum Gewalttätigkeit erzeugen. Kinder von Prügeleltern werden dadurch oftmals ebenfalls zu Schlägern.
      In einem Artikel in der DW zu „Kriminalität: Mit Epigenetik Gewaltverbrechern auf der Spur“ vergleicht Isabelle Mansuy, eine Professorin für Neuroepigenetik an der ETH Zürich den genetischen Code (DNA) mit der Hardware eines Computers. Die Epigenetik ist sozusagen die Software, die die Funktion des genetischen Codes verändern. Diese Software ist dafür entscheidend, wo die unveränderliche Hardware (DNA) aktiviert wird. „Der genetische Code, also die Hardware, ist nutzlos ohne die epigenetischen Faktoren“.
      Rachel Yehuda, eine amerikanische Wissenschaftlerin vergleicht in Gen-Analysen Holocaust-Überlebende mit jüdischen Familien, die während des 2. WW nicht in Europa lebten und stellte fest, dass gravierende Unterschiede zwischen beiden Gruppen fest. Traumata wie z.B. das Erfahren von Folter, Mord, Hunger, etc. werden über die sogenannte „epigenetische Vererbung“ an nachfolgende Generationen weitergegeben. Aber auch andere Verhaltensmuster wie Rauchen, Ernährung und Stress beeinflussen die Nachkommenschaft. Selbst Ängste und auch durch Umweltgifte hervorgerufene Erkrankungen werden über Gene übertragen.
      Was bedeutet meine Gleichung?
      Die Traumata aus WW1 wurden an die nächste Generation weitergegeben, die WW2 provozierte. WW2 und die gesamte Nazizeit (Judenfeindlichkeit, Hassverbrechen, Diktatur) hat viele Menschen in ihrer Epigenetik stark beeinflusst. Vieles (auch Hass gegen Fremde) konnte vererbt werden. Wenn wir nicht aufpassen und uns nicht bemühen, unsere Epigenetik so zu beeinflussen, dass sie unser Verhalten nicht negativ steuert, dann navigieren wir zielsicher auf WW3 zu.
      Schau Dir die Welt an: Warum lernen Menschen nicht aus ihrer Geschichte und greifen stattdessen wieder und wieder zur Keule, sobald eine Krise sie bedrängt? (das ist alles natürlich sehr, sehr vereinfacht erklärt)
      Aus diesem Grunde finde ich gerade auch Deine Gedanken sehr wichtig. Auch Frieden bzw. ein friedvolles Miteinander kann epigenetisch bedeutend sein. Wir sollten uns selbst stellen – wie Du schreibst – und uns wieder ins Gleichgewicht bringen für eine lebenswerte Zukunft.
      (Sorry, dass die Antwort so lang wurde..)

      Gefällt 1 Person

      • Liebe Barbara, hab ganz herzlichen Dank für Deine so ausführliche Antwort. Ich finde Deine Ausführungen sehr spannend und sie haben mich sehr zum Nachdenken angeregt. Aus psychologischer Sicht bin ich mir schon seit langem im Klaren darüber, dass Traumata über Generationen hinweg weiter gegeben werden. Und eigentlich ist es vollkommen klar, dass die körperliche Ebene davon nicht ausgenommen werden kann. Ich denke an dieser Stelle muss man sich nur klar machen, dass diese Grenze zwischen Körper und Seele im Grunde genommen gar nicht existiert, allenfalls ein Konstrukt darstellt welches uns dabei hilft die Welt zu begreifen. Besonders spannend finde ich da auch dass man im Bereich der Physik dieser Einheit ja auch ganz allmählich auf die Spur kommt. Das Stichwort sei an dieser Stelle „Quantenphysik“ Wie dem auch sei, im wissenschaftlichen Verständnis sind wir da sicherlich noch Lichtjahre entfernt alles zu begreifen. Aber so viel ist sicher, wir MÜSSEN uns auf den Weg machen uns mit uns selbst, unseren Geschichten auseinanderzusetzen. Wenn dieser Planet und das Leben darauf eine wirkliche Chance haben soll ist das eine zwingende Notwendigkeit.
        In diesem Sinne nochmals ganz herzlichen Dank für Deine mehr als spannenden Ausführungen
        Bis bald
        Daniela

        Gefällt 1 Person

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