Impulse für ein Leben mit Sjögren-Syndrom
„Er wollte weg von der Frau. Sie drohte mehrmals sich umzubringen und schaffte es mehrfach fast. Einmal rief Tosch in seiner Verzweiflung seinen Analytikerfreund an. Der brüllte in den Hörer:
Ich schätze es überhaupt nicht im Urlaub gestört zu werden! Ich stehe hier am Strand und da draußen auf dem Wasser schaukelt ein Gummiböötli! Darin sitzen Deine Frau und Du! Sie sticht mit dem Messer auf das Gummiböötli ein! Du kannst entweder mit ihr untergehen oder versuchen an´s Ufer zu schwimmen! Deine Entscheidung! Tschüss!“
– aus Katja Oskamp, die vorletzte Frau –
Viren haben heilsame Wirkung. Echt jetzt? Ja, echt jetzt. Tatsächlich!
Schon einmal habe ich es erlebt. Das Corona -Virus hat mich geheilt. So wie es diesen Planeten hat still werden lassen, hat es auch mich still werden lassen. So wie es die Welt auf brutalste und fürchterlichste Art und Weise dazu gezwungen hat die allgegenwärtige Betriebsamkeit zurückzufahren und damit dafür gesorgt hat, dass Flüsse und Meere zumindest zeitweilig wieder klarer wurden, so hat es auch mich zur Ruhe gezwungen. Hat dadurch mein Inneres klarer werden lassen und hat damit dafür gesorgt, dass ich vieles an materiellem und seelischen Ballast hinter mir lassen konnte.
Nun hat es mich noch einmal erwischt , das Corona-Virus. Und gemeinsam mit meiner insgesamt doch sehr prekären gesundheitlichen Situation ein weiteres Mal dafür gesorgt, dass Stille einkehrt, dass ich bereit war zu sehen, was es längst zu sehen galt.
Mehr als zwei Jahre sind nun vergangen, seit mein Vater, nach langer schwerer Krankheit gestorben ist. Mit seinem Tod hat er geschafft, was ihm zeitlebens nicht gelungen ist. Er hat sich gelöst, aus den gegenseitigen Verstrickungen mit meiner Mutter. Aus ihren wechselseitigen Verwicklungen, die ihnen beiden das Leben oft so schwer gemacht und ihnen dennoch Sicherheit in einer unsicheren Welt gegeben haben. Ja, die sie beide ihren Platz im Leben haben finden lassen. Er hat die Taue gekappt und ist ausgestiegen. Hat sich verabschiedet aus dem Gummiböötli meiner Mutter. In die Ewigkeit, endgültig, für immer!
Und ich? Ich bin eingestiegen!!!
Von diesem Zeitpunkt an war ich diejenige, die versucht hat das Ruder in der Hand zu halten, meine Mutter zu bewahren, vor ihren destruktiven, selbstzerstörerischen Manövern. Ihr Gummiböötli, auf welches sie unablässig, auf die eine oder andere Art eingestochen hat, über Wasser zu halten. Ohne Erfolg, leider….dafür jedoch unter erheblichem Kraftaufwand.
Nun bin ich gesprungen, in meinem Inneren, ich schwimme…. das rettende Ufer in aller Klarheit vor mir sehend….wohl wissend, dass ich es erreichen werde….
Epilog:
Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen. Ich liebe meine Mutter, so wie ich meinen Vater geliebt habe. Ihre Hand war die erste, welche die meinige gehalten hat und meine Hand wird, so Gott will und ich zum Zeitpunkt ihres Todes bei ihr sein kann, die letzte sein, welche die ihrige halten wird. Ebenso, wie ich die Hand meines Vaters gehalten habe.
Ihrer beider Gummiböötli jedoch, das habe ich verlassen. Bin in meinem Inneren gesprungen im Wissen, darum, dass ich niemals auch nur die geringste Chance hatte, es vor dem Untergang zu bewahren ….Im Wissen darum, dass Kinder, wie alt sie auch immer sein mögen, niemals eine Chance haben, das Gummiböötli ihrer Eltern über Wasser zu halten….ja, Viren können durchaus heilsam sein
Das ist ein krasses Bild mit dem Gummiböötli. Es klingt für mich nach Befreiung aus einer Co-Abhängigkeit. Aber keine Ahnung, ob ich das richtig herausgelesen habe. Ich verstehe deinen Beitrag so, dass das ein innerer Schritt der Ablösung von einer Verantwortung ist, die man nicht übernehmen kann.
Ich wünsche dir, dass dein innerer Sprung ins Wasser postitive Auswirkungen auf die Situation im Äußeren hat. Manchmal kann ja schon eine klare Änderung der eigenen inneren Haltung ziemlich viel an einer Situation verändern…
Außerdem wünsche ich dir natürlich, dass du die Infektion gut überhaust.
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Ja, lieber Stefan. Das hast Du schon richtig heraus gelesen. Meine ganze Krankengeschichte ist mitunter auch mit meiner Lebensgeschichte verknüpft. Ein langer, zum Teil steiniger Prozess des Loslassens. Ich bin bereits im zarten Alter von circa 16 Jahren aus dem „Gummiböötli“ meiner Eltern gesprungen und losgelaufen. Was Du hier liest ist das Ergebnis jahrelanger Auseinandersetzung mit meiner Lebensgeschichte, der Lebensgeschichte meiner Eltern. Eine Geschichte die erzählt von Verletzung, Verzeihen, Aussöhnung, nicht zuletzt angestoßen durch meine Erkrankung, wofür ich tatsächlich auch sehr dankbar bin. In mein Elternhaus zurück gezogen bin ich , um diese Aussöhnung zu Ende zu bringen…Kein einfacher Weg, aber einer der sich lohnt und ich bin zuversichtlich dass dies gelingen wird und ich meine Mutter, wenn es soweit ist , in Frieden gehen lassen kann, genau wie ich meinen Vater gehen lassen konnte. Durch den Infekt bin ich durch, meine Erkrankung wird bleiben… aber innerlich bin ich ein gutes Stückchen heiler geworden. Das ist was im Leben letztendlich am meisten zählt…
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Wenn man zu dieser Erkenntnis gelangt ist, ist es plötzlich ganz einfach und man fragt sich oft warum man nicht schon viel eher darauf gekommen ist.
Dieses Loslassen ist oft eine Erleichterung und Bereicherung für beide Seiten.
Alles Liebe zu dir Daniela. 🍀🌃
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Nein, liebe Nati. Einfach ist das nicht. Es war ein Prozess über viele Jahre, der viel Kraft, Zeit und vor allen Dingen den Mut erfordert hat , ungeschminkt selbst in den Spiegel zu sehen. Es geht auch nicht um Erleichterung, es geht um Liebe. Von Herzen auch für Dich alles Liebe 😘😊🙋♀️💞
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Trotz allem an der Liebe festzuhalten, sie zu empfinden ist schön.
Ich danke dir. 🤗💕
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Ja, genau…sie trotz allem ( wieder) empfinden zu können, ist etwas ganz wunderbares 😘💞🙋♀️
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Das ist ein gutes Bild, das Gummiböötli. Es ist sehr anfällig und es gibt Phasen, da ist im wahrsten Sinn des Wortes die Luft raus und muss neu aufgepumpt werden. Spröde kann es auch werden und muss evtl. geflickt werden….
Ja, Kinder können ebenso wenig für das Böötli der Eltern tun, wie umgekehrt. Denn auch die Kinder steuern ihr eigenes irgendwann und müssen eigene Erfahrungen machen, auch wenn Eltern es „besser“ wissen und sie vor mancher Stromschnelle bewahren wollen.
Diese Familienbande zu verlassen und ist ein schwerer Prozess. Zurückkehren ist vielleicht noch schwerer und erfordert nicht nur Mut. Es muss von beiden Seiten gewünscht sein, denke ich. Und beide müssen das Einwirken seinlassen können.
Chapeau, wenn es gelungen ist!
…grüßt Syntaxia
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Ja, genau so ist es. Jeder ist selbst verantwortlich für sein Böötli und keiner ist in der Lage es für den anderen über Wasser zu halten. Liebe lässt immer frei und diese Freiheit beinhaltet auch das Recht eines jeden Menschen zu scheitern. Auch wenn dies für das Gegenüber bisweilen schwer zu ertragen ist.
Herzliche Grüße zurück zu Dir
Daniela
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… einfach nur WOW!
Bleibe weiter mutig und stark – das rettende Ufer ist oft gar nicht so weit entfernt.
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Ich danke Dir, liebe Barbara, für die ermutigenden Worte 😊🙏😊… ja, es ist Land in Sicht… die Auszeit war hilfreich um klarer zu sehen und hat damit die Möglichkeit geschaffen , die Weichen neu zu stellen. Ganz liebe Grüße, Daniela
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