Impulse für ein natürliches Leben
Mein liebes Tagebuch,
für eine sehr lange Zeit habe ich geglaubt, dass ich eine komplizierte Kindheit gehabt habe. Und ja, in vielerlei Hinsicht ist sie das auch gewesen. Immerhin war ich quasi schon von Kindesbeinen an irgendwie krank, was zu den vielerlei Verstrickungen im familiären System einen erheblichen Beitrag geleistet hat. Und wahrlich, es war ein weiter und schwieriger Weg, bis all die Verwicklungen entwirrt und der Knoten gelöst war….. bis ich verstanden hatte…
Eigentlich dachte ich ja, dass dies alles Schnee von gestern sei, aber heute am See habe ich so intensiv wie noch nie in meinem Leben gespürt, dass meine Kindheit vor allen Dingen eines war:
sie war geborgen
Ja, ich habe es heute bis an den Bodensee geschafft, was nicht ganz so selbstverständlich ist, zumal mein körperlicher Zustand ja noch immer ganz schön instabil ist. Und es hat auch eine ganze Weile gedauert bis ich den Schmerz zur Seite legen und mich auf meine Umgebung einlassen konnte.
Aber irgendwie ist es dann doch gelungen. Wenn ich geduldig genug bin um ruhig zu werden, dann kommt die Natur zu mir, äußerlich wie innerlich. Dann kann ich plötzlich die Schönheit die mich umgibt erkennen und mich selbst in meiner Tiefe wahrnehmen.
Ja, und so war es auch heute. Nachdem ich eine Weile am Wasser gesessen und den Möwen in der Ferne zugeschaut hatte, da war ich plötzlich mitten drin. Plötzlich habe ich es bewusst wahrgenommen, dieses Spiel aus Wolken und Sonne, dieses unglaubliche Licht das daraus entstand, dieses Glitzern auf dem Wasser, die Möwe die sich an mich „herangeschlichen“ und mich neugierig beäugt hat und diese Weite, die auch am Bodensee vorhanden ist, und welche der Seele so viel Freiheit schenkt……
Es war ziemlich kalt und die Luft war klar, so dass die dunklen Wolken, die sich da von den Alpen her näherten einen Hauch des heran nahenden Winters haben spürbar werden lassen. Und als mein Blick auf die Bergkette am gegenüberliegenden Ufer gefallen ist, da waren sie plötzlich da, die Erinnerungen. Oder besser gesagt, da war dieses Gefühl da. Dieses Empfinden von Geborgenheit, das mir auch aus den kalten Wintertagen meiner Kindheit so vertraut ist.
Seltsam, zunächst war da eben nur dieses Gefühl. Ein altes Gefühl in neuer Umgebung. Und dann erst kamen die Erinnerungen. Bilder von meinem Vater tauchten auf. Davon wie er mir das Skifahren beigebracht hat, wie er mich auf meinen kleinen Skiern stehend einfach zwischen die Beine geklemmt hat und mit mir den Abhang hinunter gerauscht ist. Daran wie wir alle auf unseren mitgebrachten Schlitten gesessen, dampfenden Tee getrunken und die von meiner Mutter liebevoll zubereiteten Brote gegessen haben. Wie ich auf der Heimfahrt, auf dem Rücksitz unseres alten Autos, müde und erschöpft von der körperlichen Bewegung, aber rundum zufrieden ,eingeschlafen bin. Und wie über all dem, dieses Gefühl der absoluten Sicherheit, des „es kann mir nichts geschehen“ , dieses Gefühl der tiefen Geborgenheit gelegen hat.
Auf dem Weg zum Auto sind mir dann die Tränen gekommen. Tränen der Trauer weil ich weiß, dass ich eine Sicherheit in dieser Form nie mehr wieder erleben werde. Und Tränen der Dankbarkeit, weil meine Eltern mir diese Sicherheit, die es im Außen nicht gibt, in meinen frühen Kindertagen so tief in`s Herz gelegt haben, dass sie mich heute, trotz aller Unsicherheit, trägt….Und dankbar bin ich nicht zuletzt auch deshalb, weil ich diese innere Sicherheit heute wieder in dieser Deutlichkeit spüren kann.
Morgen ist Termin in der ZNS Sprechstunde, hierzu fällt mir heute nur ein Satz ein: „Mama, let me back inside“